Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 174. Sitzung / 111

Daher richten die unterzeichneten Abgeordneten folgende

Dringliche Anfrage

an den Bundeskanzler:

1. Österreich hat 1955 das BVG zur immerwährenden Neutralität beschlossen und dessen Inhalt der internationalen Staatengemeinschaft völkerrechtlich notifiziert. Sind Sie der Auffassung, daß diese völkerrechtliche Verpflichtung weiterhin besteht?

2. Der völkerrechtlich immerwährend neutrale Staat ist völkerrechtlich zur Nicht-Teilnahme an militärischen Konflikten zwischen Dritten generell verpflichtet. Halten Sie diesen Inhalt der immerwährenden Neutralität für aufrecht?

3. Österreich hat anläßlich seines Beitrittes zur EU die seit dem Maastricht-Vertrag festgelegte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, inklusive Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen soll, ratifiziert. Halten Sie die Umsetzung und die Beteilung an der GASP in diesem Sinne für eine österreichische vertragliche Verpflichtung?

4. Halten Sie die Aufnahme der Petersberger Aufgaben unter Einschluß von Kampfmaßnahmen in den Amsterdamer Vertrag, und damit seit 1. Mai dieses Jahres in die österreichische Bundesverfassung, für eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Teilnahme Österreichs an derartigen militärischen Aktionen und somit für vereinbar mit den völkerrechtlichen Enthaltungspflichten durch das Neutralitätsgesetz?

5. In Entsprechung des Amsterdamer Vertrages wurde durch Art. 23 f B-VG ausdrücklich verfassungsrechtliche Vorsorge für die österreichische Teilnahme an friedensschaffenden Maßnahmen (Kampfeinsätze) geschaffen. Ist diese Verfassungsnovelle kompatibel mit der immerwährenden Neutralität? Wenn ja, warum?

6. In den Erläuternden Bemerkungen zu Antrag 791/A XX. GP werden ausdrücklich Kampfeinsätze auch ohne Beschluß des UN-Sicherheitsrates ermöglicht. Ist dies geltende Rechtsauffassung der Bundesregierung?

7. In den Erläuternden Bemerkungen zu Antrag 791/A werden ausdrücklich Überflüge und Durchfuhren im Rahmen von GASP-Beschlüssen ermöglicht. Ist dies geltende Rechtsauffassung der Bundesregierung?

8. Im Falle der konstruktiven Enthaltung ist der Mitgliedsstaat laut Art. 23 Abs. 1 EUV zwar ‚nicht verpflichtet, den Beschluß durchzuführen, akzeptiert jedoch, daß der Beschluß für die Union bindend ist. Im Geiste gegenseitiger Solidarität unterläßt jener MS alles, was dem auf diesem Beschluß beruhenden Vorgehen zuwiderlaufen oder es behindern könnte.‘ Ist dies vereinbar mit der völkerrechtlichen Gleichbehandlungspflicht des immerwährend Neutralen gegenüber Konfliktparteien?

9. Müßte Österreich nicht in konsequenter Befolgung der immerwährenden Neutralität gegen jede einzelne GASP-Maßnahme mit militärischen Auswirkungen ein Veto einlegen? Wenn nein, warum nicht?

10. Wären aber Vetos im Sinne der Frage 9 nicht ein fundamentaler Widerspruch zu der eingegangenen Verpflichtung im Beitrittsvertrag, die GASP vollinhaltlich mitzutragen und umzusetzen? Wenn nein, warum nicht?

11. Die EU hat im Mai 1999 Wirtschaftssanktionen gegen das kriegführende Jugoslawien verhängt bzw. verschärft (Einfrieren von Geldern, Investitionsverbote). Einseitige Wirtschaftssanktionen gegen kriegführende Staaten verstoßen gegen die immerwährende Neutralität und das Neutralitätsgesetz. Mit welchen Begründungen konnten Sie daher diesen Sanktionen zustimmen?


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