Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 174. Sitzung / 131

Herr Bundeskanzler! Sie haben ein bißchen in die Historie gegriffen und dargelegt, warum denn alles mit der Neutralität vereinbar gewesen ist, was Österreich in den letzten Jahren und Jahrzehnten mit vollzogen hat. Sie haben mit dem UNO-Beitritt begonnen. Aber dabei haben Sie schon – vielleicht haben Sie es nicht gewußt – die erste Unrichtigkeit hier dargelegt. Denn es stimmt ganz einfach nicht, daß Österreich als neutraler Staat der UNO beigetreten ist.

Damals, 1955, ist nämlich nicht über einen Beitrittsantrag des neutralen Österreich abgestimmt worden – das wäre bereits damals ein Problem gewesen! –, sondern man hat ganz einfach einen Beitrittsantrag aus dem Jahre 1947 wieder aufleben lassen. Damals hat Österreich nämlich zum ersten Mal den Beitritt zur UNO verlangt, das ist aber am Veto der Sowjetunion gescheitert.

Um eben genau dieser prekären Frage auszuweichen, hat man 1955 ganz einfach das Beitrittsgesuch des natürlich nicht neutralen Österreich aus dem Jahre 1947 wieder aufleben lassen, und über dieses Beitrittsgesuch ist in einem Paket mit vielen anderen Beitrittswerbern entschieden worden. – Das war schon einmal die erste Unrichtigkeit, Herr Bundeskanzler. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Wenn wir darüber sprechen, wie es dann weitergegangen ist, dann will ich mich jetzt gar nicht mit der Verfassungsänderung und dem Kriegsmaterialiengesetz 1991/92 beschäftigen, sondern nehmen wir nur den Beitritt zur Europäischen Union.

Auch vor diesem Beitritt hat es ja ein Versprechen gegeben, und zwar von Herrn Bundeskanzler Vranitzky. Österreich wird als neutraler Staat der Europäischen Union beitreten, hat es geheißen. Ja warum hat man das gesagt? – Nicht deshalb, weil man davon überzeugt war, daß das dann auch wirklich so kommen wird, sondern weil man ganz genau gewußt hat, daß dann, wenn man der Bevölkerung die Wahrheit sagt, wenn man ihr 1994 die Wahrheit gesagt hätte, diese Volksabstimmung mit einiger Wahrscheinlichkeit anders ausgegangen wäre.

Wenn Sie damals wirklich die Absicht gehabt hätten, diese Neutralität auch nach dem Beitritt zur Europäischen Union beizubehalten, dann hätten Sie das doch wohl auch bei den Beitrittsverhandlungen irgendwo zum Ausdruck bringen müssen! Dann hätten Sie das doch in den Beitrittsvertrag hineinschreiben müssen! – Aber darin lesen wir überhaupt nichts davon.

Es wurde heute schon zitiert, daß die Beitrittswerber Österreich, Schweden, Finnland und damals auch Norwegen erklärt haben, daß sie vorbehaltslos die Ziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik übernehmen werden – ich betone: vollständig und vorbehaltslos! Und es war doch sicherlich auch kein Zufall, daß man gerade diese Passage in diesen Beitrittsvertrag, in diese Vereinbarung mit hineingenommen hat. (Beifall bei den Freiheitlichen.)

Dann ist der Vertrag von Amsterdam gekommen, in dem die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik weiterentwickelt worden ist, in dem Kampfeinsätze zur Friedensschaffung vorgesehen sind. – Ich wiederhole: Kampfeinsätze der Europäischen Union zur Friedensschaffung. Sicher wurde das jetzt einmal als Ziel formuliert. Gut.

Sie haben auch gesagt, das ist alles kein Problem für die österreichische Verfassung. – Ist es auch nicht, denn Sie haben ein Verfassungsgesetz beschlossen, gleichrangig mit dem Neutralitätsgesetz, Herr Bundeskanzler, gleichrangig mit dem § 23f, womit Sie genau all das ermöglicht haben. (Abg. Dr. Kostelka: Na und? Lesen Sie es einmal genauer!)

Was heißt "Na und?", Herr Kollege Kostelka? Sie können nicht 1955 ein Neutralitätsgesetz beschließen und dann, 1998, ein Verfassungsgesetz, das genau diese Neutralität bricht! Und dann sagen Sie, das sei überhaupt kein Problem. (Beifall bei den Freiheitlichen. – Abg. Dr. Kostelka: Das stimmt ja gar nicht! Lesen Sie den Text einmal genau!)

Sie sagen, das stimmt nicht. Gut. – Dann schauen wir uns einmal die Definition der dauernden Neutralität an, Herr Kollege Kostelka. Ich weiß schon, da gibt es verschiedene Interpretationen. Aber bei allen Unterschieden werden Sie mir recht geben: Da gibt es zunächst einmal den normalen Neutralen, der angesichts einer kriegerischen Situation für sich selbst entscheidet, ob er


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