Nationalrat, XX.GP Stenographisches Protokoll 174. Sitzung / 136

quasi inhaltsleeren Titel verkommen ist, zu einer Neutralität ad pompam velat ostentationem, einem Neutralitätszierat, der dieser Republik verpaßt wurde. So wie den Hofrat, der kein wirklicher ist, und den akademischen Grad, der ehrenhalber verliehen wird, haben Sie die Neutralität en passant mitgeführt. Das rächt sich jetzt.

Herr Bundeskanzler! Ich möchte Ihnen sagen, bei welchen zwei Worten ich immer das entsetzliche Gefühl gehabt habe, daß die österreichische Neutralität dem Geiste nach eigentlich schon verletzt und gebrochen wird. Sie haben es mit geduldet, daß verbale Verdrehungen letztlich unterschwellig Stimmungen vorbereiten.

Das ist mit dem Begriff "Solidarität" geschehen. Da hatte doch die Sozialdemokratie einmal – ich habe das immer so wahrgenommen – eine sehr klare Vorstellung von internationaler Solidarität. Ich habe darunter immer (Abg. Dipl.-Ing. Schöggl: Da gibt es ein Lied!) – darüber gibt es ein Lied – den Kampf gegen Ausbeutung, gegen Unterdrückung, den Kampf für soziale Gerechtigkeit, gegen Bevormundung, gegen unfaire Arbeits- und Tauschbedingungen verstanden. Mittlerweile höre ich immer öfter, daß das Wort "Solidarität" in einem Atemzug mit "Waffenbruderschaft" verwendet wird. Es scheint so zu sein, daß "Solidarität" mittlerweile den Einklang mit denjenigen bedeutet, die über Tarnkappenbomber, Graphitbomben und schwere Panzer verfügen. (Abg. Dr. Gusenbauer: Wo ist das vorgekommen?) Das ist nicht mein Begriff von Solidarität, und das möchte ich hier klarstellen! (Beifall bei den Grünen.)

Die zweite Verdrehung, die auf diese Weise Einkehr gehalten hat – in einem Atemzug mit dem Wort "Trittbrettfahrerei" oder "Feigheit" –, war die Umdeutung des Wortes "neutral" zu "ignorant", "an Menschenrechten desinteressiert". Das hat das Wort "neutral" früher – auch unter sozialdemokratischen Bundeskanzlern und Außenministern – nie geheißen. Im Gegenteil, "neutral" hieß damals "bedingungslos den Menschenrechten verpflichtet", und wo immer sie verletzt werden, hat ein Aufschrei zu erfolgen. Auch diese Umdeutung – das feige Wegschauen, das Nicht-zur-Kenntnis-Nehmen – hat die Neutralität Österreichs bereits von der Stimmung her untergraben.

Ich werfe Ihnen nicht vor, Herr Bundeskanzler, daß Sie am Neutralitätsgesetz gerüttelt hätten. Ich unterstelle der Sozialdemokratie auch nicht, daß sie die Neutralität abschaffen wollte oder will. Aber ich werfe Ihnen vor, daß Sie um des Koalitionsfriedens willen diese Verdrehungen und diese klimatische Aushöhlung der Neutralität geduldet haben.

Es gibt andere Politiker – auch der Sozialdemokratie –, die ich sehr deutlich verstehe, wenn sie darüber sprechen. Das ist der ehemalige Außenminister Pahr – ihn verstehe ich, wenn er über die Neutralität spricht –, das ist auch Präsident Fischer. Es gibt andere wie den Abgeordneten Cap, die ich ebenfalls verstehe; ihre Meinung teile ich nicht. Aber bei Ihnen, Herr Bundeskanzler, weiß ich nicht so recht: "Das war eine informelle Erklärung", "das war eine Presseaussendung", dieses und jenes. – So geht es nicht! Ich nehme zur Kenntnis, daß Ihre Haltung eine deutlich andere als jene der ÖVP ist. Aber dann setzen Sie sie auch in dieser Deutlichkeit und Klarheit um, oder lassen Sie eine Entscheidung des Volkes darüber zu! (Beifall bei den Grünen.)

Herr Bundeskanzler! Auch als Sie gesagt haben, daß das, was im Kosovo geschehen ist, "im Einklang" mit der Charta der Vereinten Nationen erfolgt sei, waren Sie wieder sehr auf die Wortwahl bedacht. (Abg. Dr. Maitz: Das hat Kofi Annan gesagt!) Herr Bundeskanzler, es mag manches geben, was "im Einklang" mit den Intentionen der Charta der Vereinten Nationen stattfindet, aber es ist gefährlich – und ich sage, daß es in Österreich rechtswidrig und ein Bruch der Neutralität ist –, die Interpretation dessen, was im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen steht, einem Militärpakt, einem einseitigen Militärpakt zu überlassen.

Was im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen ist, das wird nach Kapitel 7 eindeutig festgelegt. Es wäre mit der Neutralität einzig und allein vereinbar, daß Sie nicht "im Einklang mit den Intentionen", sondern "auf Basis der Charta der Vereinten Nationen" sagen. Dann wäre es tatsächlich kein Bruch der Neutralität.

Denn alles andere führt zu einem unauflösbaren Rattenschwanz an Problemen, Herr Bundeskanzler. "Im Einklang" mit den Bestimmungen gegen den Angriffskrieg oder gegen die Verletzungen der Rechte der Völker – mancher Diktator wird behaupten, daß er so handelt! Milo


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