Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 2. Sitzung / Seite 68

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das geistige Abschieben dieser Kolleginnen und Kollegen. (Abg. Dolinschek: Wenn sie die österreichische Staatsbürgerschaft haben, dann sind sie ja wahlberechtigt!)

Aber wir reden ja nicht von den österreichischen Staatsbürgern, sondern wir reden von den Arbeitsmigrantinnen und -migranten, die hier in Österreich leben. Um diese geht es – und um ihr passives Wahlrecht zur Arbeiterkammerwahl, zur Betriebsratswahl und auch zur Hochschülerschaftswahl. (Abg. Dr. Martin Graf: Aber warum nehmen Sie diesen Teilbereich heraus? Wenn, dann müssen Sie schon alles nennen! – Abg. Gaugg: Machen wir es europaweit gleich!)

Es geht um die politischen Rechte dieser Kolleginnen und Kollegen! Ich könnte Ihnen leicht auch die sozialen Rechte, die ihnen vorenthalten werden, aufzählen. Aber jetzt geht es einmal um die politischen Rechte, die ihnen vorenthalten werden, die ihnen rechtswidrig vorenthalten werden.

Es gibt nämlich eine europäische Sozialcharta, Kollege Gaugg. Das weißt du! Es gibt die ILO-Übereinkommen Nr. 87 und Nr. 98 schon aus den fünfziger Jahren, die Österreich eigentlich moralisch und rechtlich verpflichten, und zwar völkerrechtlich verpflichten, diese Bestimmungen einzuführen.

Es gibt die EU-Verträge, auch wenn das den Kollegen der Freiheitlichen Partei nicht passen sollte, etwa die Verordnung 1612 aus dem Jahre 1968, die ganz klar gegen jegliche Diskriminierung von Wanderarbeitnehmerinnen und Wanderarbeitnehmern Stellung nimmt.

Es gibt die Assoziationsverträge mit der Türkei, mit anderen osteuropäischen Ländern und mit afrikanischen Ländern, die überall die Gleichstellung vorsehen: das passive Wahlrecht, das uneingeschränkte gleiche Recht bei Betriebsrats-, Arbeiterkammer- und natürlich auch bei Hochschülerschaftswahlen.

Vor allem gibt es – Gott sei Dank!, muss ich hier sagen – die Europäische Kommission, der es nicht so egal ist wie den Regierungsmitgliedern, vor allem jenen von der ÖVP, dass Österreich konsequent seit Jahren EU-Recht bricht. Der Kommission ist das nicht egal, daher ist das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich eingeleitet worden.

Es gibt aber Gott sei Dank auch noch Beamte in dieser Republik, denen das nicht egal ist, beispielsweise einen Bezirkshauptmann aus Vorarlberg, der sagt: Na selbstverständlich müssen wir ihnen das passive Wahlrecht bei der Arbeiterkammerwahl einräumen!, und der als sach- und rechtskundiger Beamter als Einziger dafür gestimmt hat, ihnen das passive Wahlrecht einzuräumen, während die Vertreter von ÖVP, SPÖ und FPÖ – natürlich FPÖ, aber auch ÖVP und SPÖ – dagegen gestimmt haben.

Meine Damen und Herren! Sie haben jetzt – ich sage es noch einmal – die Chance, Ihre Meinung zu ändern, noch bevor das Urteil des Europäischen Gerichtshofes ergeht. Es kommt sicher zu dieser Klage. Das Vertragsverletzungsverfahren ist – das sehen Sie, wenn Sie die Anfragebeantwortung des Bundeskanzlers lesen – eingeleitet. Es kommt mit Sicherheit zur Klage der Europäischen Kommission beim Europäischen Gerichtshof, weil Österreich seit Jahren als einziges von 15 EU-Ländern diese Rechte völlig ignoriert!

Ich möchte am liebsten ignorieren, was einzelne Institutionen dieser Republik dazu gesagt haben, etwa die Wirtschaftskammer, die beispielsweise meint – ich zitiere –: Die Einräumung des passiven Wahlrechtes lässt befürchten, dass in Entscheidungen des Betriebsrates Gesichtspunkte einfließen, die von außerhalb Österreichs gelegenen Interessen geprägt sind. (Abg. Dr. Martin Graf: In den meisten europäischen Ländern gibt es das gar nicht! Das ist ein Witz! In zwölf von fünfzehn Ländern ist eine Kammer öffentlichen Rechts gar nicht etabliert!)

Weiters heißt es hier: Diese im Rahmen des Arbeitsverfassungsgesetzes dem Betriebsrat obliegende Verpflichtung, betriebliche Interessen zu berücksichtigen, könnte von ausländischen Betriebsräten tendenziell weniger effektiv wahrgenommen werden als von inländischen. – Ende des Zitates.


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