Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 22. Sitzung / Seite 63

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halb unserer Grenzen, soweit sie bekannt geworden sind, offen auf den Tisch gelegt haben, die sich bemüht haben, die Täter zu bestrafen, und die erklärt haben, dass Verbrechen Verbrechen sind und dass die Opfer entschädigt werden müssen.

Ich vermisse ähnliche Vorgangsweisen in einer Reihe von Nachbarstaaten. Bei Nachbarstaaten tut man zum Teil so, als ob man diesbezüglich auf beiden Ohren überhaupt nichts hören würde. In anderen Staaten erklärt man: Bei uns hat es niemals Verbrechen gegeben, überall anders schon! Und dann gibt es noch jene Staaten wie etwa der unmittelbare nördliche Nachbar der Republik Österreich, der erklärt: Das hat es schon alles gegeben, aber es war gut so! Die Vertreibung von 3,5 Millionen Menschen, das Umbringen einer Viertelmillion dieser Menschen bei dieser Gelegenheit, war richtig, und eigentlich müsse man sich im positiven Sinne zu den Dingen bekennen.

Aber ich bin nicht ganz jung, ich habe mir gestern ausgerechnet, von der Schlacht von Königgrätz 1866 bis zu meiner Geburt ist ungefähr so viel Zeit verstrichen wie vom Jahr 1938, der Okkupation Österreichs durch das damalige Deutsche Reich, bis jetzt. Nur damit man die historischen Dimensionen sieht. Wenn man den Fernseher aufdreht, hat man manchmal den Eindruck, die grässlichen Morde des Nationalsozialismus seien gestern passiert, und wenn man geschwind die Tür aufmacht, dann erwischt man noch den Nachbarn, wie er mit bluttriefenden Händen bei seiner Tür hereinhuscht. Das ist alles so weit zurück wie die Schlacht von Königgrätz bis zu meiner Geburt – nur damit man die historische Dimension vor Augen hat.

Im Zusammenhang mit der Problematik der "Arisierung" und der Wiedergutmachung bin ich allerdings anderer Ansicht als meine Vorrednerin Stoisits. Wenn sie den Standpunkt vertreten hat, dass in Österreich diesbezüglich noch nichts passiert sei, dann irrt sie. Es hat nach dem Krieg die so genannten Rückstellungskommissionen gegeben, sie haben viele Jahre hindurch friktionsfrei gearbeitet, und zwar im Justizgebäude auf dem Mittersteig. Mit Akribie sind dort die "Arisierungs"-Fälle zusammengetragen worden, und in jenen Fällen, in denen es noch Lebende, dazu in der Lage befindliche und interessierte Opfer gegeben hat, haben diese das, was ihnen weggenommen wurde, zurückbekommen. Und für jene Fälle, in denen es diese Opfer nicht gegeben hat oder man sie nicht hat auftreiben können, diese nicht mehr gelebt haben oder nicht stellig gewesen sind, hat es zwei Sammelstellen gegeben: die Sammelstelle A und die Sammelstelle B.

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, obwohl ich als ganz junger Spund in diesen Bereichen von der anwaltlichen Komponente her tätig gewesen bin, aber: Diese Sammelstellen haben alles aufgefangen, was dem einzelnen Geschädigten nicht zurückgegeben werden konnte, weil dieser entweder nicht mehr gelebt hat oder sich nicht darum kümmern hat wollen oder nicht da gewesen ist oder man ihn nicht erreicht hat.

Das heißt, es ist nichts, was "arisiert" worden ist, was in den Akten vorhanden gewesen ist – und das war in einem akribisch geführten Staat praktisch alles –, dort geblieben, wo es durch die "Arisierung" hingekommen ist. Es hat die Rückstellungskommission dafür gesorgt, dass die Eigentümer es zurückbekommen haben. In den Fällen, wo es diese nicht gegeben hat, haben das die Sammelstellen bekommen.

Wenn man jetzt den Standpunkt vertritt, das war alles nicht recht und nicht richtig, man müsse nachbessern und korrigieren – man kann natürlich in der Demokratie alles wollen –, dann muss man aber schon erkennen, dass man nicht Unrecht bekämpft und wieder gutmachen möchte, das aus der Zeit des Nationalsozialismus und damit eines Unrechts-Regimes stammt, sondern aus der Zeit der Zweiten Republik Österreichs, einer demokratischen Republik mit demokratischen Einrichtungen, mit Richtern an der Spitze der Kommissionen und mit einer gesetzgebenden Körperschaft, die hier herinnen getagt hat und "Nationalrat" geheißen hat wie heute – auf der Basis der damaligen Gesetze. (Abg. Dr. Martin Graf: Unter Aufsicht der Alliierten!)

Man kann sagen, das ist alles nicht richtig gewesen, alles zu wenig, aber man muss erkennen, gegen wen sich diese Kritik richtet: nicht gegen den Nationalsozialismus, sondern gegen die junge Zweite Republik Österreich. Ich sage das nur, denn, wie gesagt, die Schlacht von König


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