Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 25. Sitzung / Seite 88

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sich andere Möglichkeiten, um zu ihrem Recht zu kommen oder zumindest ihr Mütchen kühlen zu können, Rache zu üben oder was immer.

Das ist in Österreich nicht der Fall. In Österreich vertraut der Bürger der Justiz. Er geht zur Justiz, er freut sich zwar persönlich nicht über jedes Ergebnis, das sie ihm bringt, aber er akzeptiert es. Dieses Vertrauen ist wichtig, es ist eine der Grundsäulen der Republik. Wir sind stolz darauf, dass es dieses Vertrauen gibt, und alle in der Justiz werden weiter daran arbeiten. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wir haben uns angewöhnt, darüber gekränkt zu sein, dass manches nicht so schnell geht, wie ein Vorgänger des Ministers Böhmdorfer, nämlich Minister Foregger das immer genannt hat: dass binnen "schicklicher Frist" etwas geschieht. "Schickliche Frist" ist ein dehnbarer Begriff. Bei manchen Dingen – und ich weiß, wovon ich rede – muss man wirklich länger warten, als man glaubt. Aber tatsächlich liegen wir auch in Österreich, was die Dauer der Verfahren angeht, bei einem Bruchteil dessen, was wir von anderen Ländern gewohnt sind. Da macht uns der internationale Vergleich sicher, und er macht uns auch ein wenig stolz auf die Leistungen, die in der Justiz erbracht werden – von allen, die dort beschäftigt sind und ihre Aufgaben erfüllen, meine Damen und Herren. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Wovor ich in diesem Zusammenhang warnen möchte, ist eine Schere, zwischen deren Backen man sich begeben könnte, und zwar in der Form, dass man sich bemüht, alles noch rascher zu machen, vielleicht auch etwas billiger und vor allem einfacher, und dass das dann auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit gehen könnte, die wir doch im rechtsstaatlichen Interesse und im Interesse der Bürger über alles stellen sollten.

Einzelfallgerechtigkeit gegen noch mehr Geschwindigkeit – das heißt, der Bürger möchte schon, dass es rasch geht, aber in erster Linie möchte er, dass es gerecht zugeht. In erster Linie möchte er richtige, gerechte, akzeptable Entscheidungen, auch wenn es dann etwas länger dauert. Ich warne daher Herrn Minister Böhmdorfer davor – aber ich weiß, dass es nicht notwendig ist, ihn wirklich zu warnen, weil er, davon bin ich überzeugt, als Praktiker derselben Überzeugung ist –, sich zu bemühen, Maßnahmen zu setzen, um die Dinge noch rascher über die Bühne zu bringen, wenn das auf Kosten der Einzelfallgerechtigkeit geht.

Es hat in der Vergangenheit Bestrebungen gegeben, eine Art Eventualmaxime im Zivilverfahren einzuführen, das heißt, was nicht am Anfang schon auf den Tisch gelegt ist, kann man später nicht mehr vorbringen. Das mag dem einen oder anderen, weil es weniger Arbeit macht, angenehm sein, das mag das eine oder andere Verfahren rascher zu einem Ende führen. Zu mehr Gerechtigkeit wird es, fürchte ich, nicht führen.

Man hört auch immer wieder, dass man sich bemüht, von den Instanzenzügen wegzukommen, auch im Zivilverfahren zu zwei statt, wie es manchmal der Fall ist, zu drei Instanzen zu kommen, und dass man die Anrufung der Höchstgerichte immer schwieriger macht. Aber: Einzelfallgerechtigkeit muss meiner Meinung nach oberstes Gebot in der Justiz bleiben.

Was sich viele Praktiker – und darunter auch der alte Anwalt Harald Ofner – wünschen, ist, dass wir auch bei den schwerwiegenden Strafverfahren endlich zu einer echten Beweisrüge im Rechtsmittelverfahren kommen. Heute ist es so, dass man beim Bezirksgericht, dass man beim Einzelrichter, beim Gerichtshof noch eine volle Schuldberufung hat. Das heißt, man kann die Beweiswürdigung durch das Gericht anzweifeln und, wenn man Glück hat, vielleicht auch zu einer Änderung in diesem Zusammenhang kommen. Aber dort, wo es ernst wird, bei den Schöffen, und noch mehr bei den Geschworenen, gibt es nach wie vor keine echte Anfechtung der Beweiswürdigung.

Das geht alles von der Überlegung aus, da sitzt in Gestalt der Schöffen und der Geschworenen das Volk drinnen, und das Volk irrt nie. Daher wäre es frivol, die Beweiswürdigung anfechten zu wollen, wenn es um Schöffen- oder gar um Geschworenen-Urteile geht. – Ich halte das für eine Beweisregelvorgabe, wie wir sie aus dem Mittelalter kennen, wo man auch jemanden in das kochende Wasser hat greifen lassen, und wenn er nicht verbrüht war, war er unschuldig, und wenn er sich verbrüht hat, war er schuldig und war einen Kopf kürzer.


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