Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 47. Sitzung / Seite 76

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

fung der Vermögensteuer hat dem Budget 10 Milliarden Schilling gekostet. Dieses Budget ist insgesamt nämlich in einem durchaus geordneten Zustand. Die Staatsschuldenquote Österreichs liegt mit 64,9 Prozent des BIP deutlich unter dem europäischen Durchschnitt.

Aber in Wahrheit haben Sie sich dazu durchgerungen, die Wahlversprechen Ihres Koalitionspartners zu erfüllen, nämlich die fleißigen, tüchtigen und anständigen kleinen Leute für ihren Fleiß und ihre Tüchtigkeit so richtig "schön zu belohnen". Die Unfallrentner, die Studenten, die Pensionisten, die Kranken, die Zivildiener – das ist die "Erotik des Nulldefizits", wie es Kollege Van der Bellen ausgedrückt hat; nur: Von "Erotik" kann ich bei diesem Budget nichts erkennen!

Oder zur Gruppe der Arbeitslosen: die Plünderung der Arbeitslosenversicherung zur Budgetsanierung um über 11 Milliarden Schilling und die Überführung von 3,7 Milliarden Schilling aus dem Insolvenzfonds zum Zwecke der Zwangsarbeiterentschädigung. – Die Plünderung des Insolvenzfonds um 3,7 Milliarden Schilling zur Lösung der Zwangsarbeiterfrage ist in Wahrheit unglaublich. Es wundert niemanden, wenn der Herr Bundeskanzler mit der entsprechenden Sensibilität, die er an den Tag gelegt hat, in Jerusalem – und das am Tag der "Reichskristallnacht" – erklärt hat, dass Österreich das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen sei (Ruf bei der ÖVP: Richtig!); die Nazis hätten es mit Gewalt genommen. (Abg. Großruck: Lass dich nicht auf ein Gebiet ein, das du nicht verstehst!)

Dass es solche gegeben hat, die applaudiert haben, und solche, die Widerstand geleistet haben, ist ohnedies bekannt. Was heißt das? – Herr Klubobmann Khol ist hier heraus gegangen und hat von den Opfern und von den Tätern gesprochen. Na und? – Was erklärt das über das Wesen des Nationalsozialismus? (Rufe und Gegenrufe zwischen SPÖ und ÖVP.)

Herr Klubobmann Khol ist hier heraus gegangen, ebenso wie der Herr Bundeskanzler, und hat vom verbrecherischen Regime Hitlers geredet. Das ist ohnehin unbestritten. Dass das ein Verbrechen an der Menschheit war, ist unbestritten.

Aber wie war das mit Hitler und seinem verbrecherischen Regime? Wie war das mit jenen, die ihn demokratisch legitimiert haben, mit jenen 43 Prozent? Wer waren die anderen Täter, wenn wir schon von Tätern und Opfern reden? Was sagt das über das Wesen des österreichischen Nationalsozialismus aus? – Herr Klubobmann Khol, der Sie von der Verfassung und vom Verfassungspatriotismus reden, Sie wissen genau, was ich meine!

Ich halte es überhaupt für einen der größten Irrtümer der österreichischen Geschichtswissenschaft, die Frage des Nationalsozialismus ausschließlich unter dem Aspekt der österreichischen Opfer-Täter-Frage zu diskutieren und sie darauf zu reduzieren. Erika Weinzierl, die ich sehr schätze, hat in diesem Zusammenhang auch vom "Januskopf der Täterschaft und der Opferschaft" gesprochen, dass sich in der Zwischenzeit nichts an den Fakten geändert habe und dass, so sagt sie, die Beteiligung von Österreichern an den Verbrechen des NS-Regimes noch deutlicher überproportional sei als zuvor angenommen. (Abg. Dr. Khol: Zitieren Sie aber vollständig! In der "Kleinen Zeitung" zitiert sie, dass Österreich ein Opfer war!)

Das ist ja wahr. Aber was erklärt das? – Das Österreich-Gen als Erklärungsmuster Eichmann’schen oder Kaltenbrunner’schen Handelns? Die genetische österreichische Disposition Hitlers als Handlungsmuster für nationalsozialistisches Handeln? (Zwischenruf des Abg. Murauer. )

Es ist in Wirklichkeit die geschichtsmächtigste Lüge dieser Zweiten Republik, die nationalsozialistischen Gewalttaten auf die Frage der österreichischen Opfer- und Täterschaft zu reduzieren. Was bringt diese Erkenntnis? Was ist mit dem heutigen Rassismus? Was ist mit heutigen Faschismus? Was ist mit den heutigen autoritären Regimen? Was hilft es, wenn ich die Frage unter dem Aspekt Opfer – Täter diskutiere? Was hilft das für die jetzige Erkenntnis? (Abg. Jung: Das ist ein Wahnsinn!)

Nur wer mit der eigenen Geschichte so umgeht (Abg. Dr. Trinkl: So wie Sie jetzt!), kann in einer solchen Unbefangenheit eine Koalition eingehen, wie Sie sie eingegangen sind, diesen Zustand zur Normalität erklären und sich dann über das Ausland aufregen und chauvinistische Ressenti


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite