Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 49. Sitzung / Seite 92

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Es geht nicht an, dass Sie als Außenministerin und dass auch der Herr Bundeskanzler hier eine Geschichtsklitterung vollziehen. Ich frage mich wirklich: Woher kommt das? Warum machen Sie das jetzt?

Immer wieder ist als Begründung für diese Opfertheorie, die den Staat mit den Bürgerinnen und Bürgern gleichstellt – auch Sie haben das vor kurzem getan –, die Moskauer Deklaration aus dem Jahre 1943 genannt worden. Ich glaube, Sie haben die Moskauer Deklaration nicht ganz gelesen. Da steht sehr wohl drinnen, dass auch Österreicher und Österreicherinnen beteiligt waren. Aber in der Nachkriegszeit wurde diese Moskauer Deklaration zu so etwas wie einer Begründung dafür, dass die Opfertheorie ja stimmt und dass damit dem Staat Österreich, aber auch der Mehrheit der StaatsbürgerInnen quasi eine Generalabsolution erteilt werden soll.

Wenn Sie die Moskauer Deklaration zitieren, dann müssen Sie sie ganz zitieren, dann müssen Sie auch auf diesen zweiten Teil eingehen.

Genauso hätte ich mir von Ihnen erwartet, dass Sie bei der Auslandskulturtagung ganz eindeutig sagen, dass eine Vielzahl von Österreichern und Österreicherinnen mitschuldig, mitverantwortlich für die NS-Verbrechen war, dass Sie nicht nur sagen: Das ist ganz anders als in Deutschland, Österreich war Opfer. – Das ist zu wenig, Frau Ministerin! (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Jäger. )

Diese Opfertheorie ist ja auch darin impliziert, dass Sie immer davon sprechen, dass andere schuld sind: Die Deutschen sind schuld, die NS-Führer sind schuld. Es kommt mir doch tatsächlich so vor, als würden auch Sie, Frau Außenministerin, sich an etwas anlehnen, was 1945 in einem Memorandum der österreichischen Staatskanzlei für auswärtige Angelegenheiten festgeschrieben wurde. Darin ist Folgendes zu lesen – ich zitiere –:

Die Judenverfolgungen erfolgten während der Dauer der Besetzung Österreichs durch deutsche Truppen. Die Verfolgungen wurden durch reichsdeutsche Behörden angeordnet und mit ihrer Hilfe durchgeführt. – Zitatende.

Frau Ministerin! Das war die Staatskanzlei für auswärtige Angelegenheiten im Jahre 1945. Ich hatte eigentlich gedacht, dass wir im Jahre 2000 die Geschichte nicht mehr so betrachten, sondern sehr wohl sehen und Sie es auch ganz klar und deutlich sagen, dass Österreicher und Österreicherinnen daran beteiligt waren und dass Österreich auch eine Mitverantwortung trägt in den Fragen der Restitution et cetera. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Jäger. )

Was Sie tun, ist, durch dieses implizite Weglassen diese Mitverantwortung abzusprechen, und das, Frau Ministerin, bringt mich zu der Frage, warum denn das gerade jetzt passiert. Im September oder Ende August noch waren Sie es, jetzt im November ist es der Herr Bundeskanzler, der auch bei seiner Erklärung vor zwei Tagen hier im Nationalrat etwas durchaus anderes, etwas bemerkenswert anderes gesagt hat als der frühere Bundeskanzler Vranitzky in seiner bekannten Rede. Bundeskanzler Schüssel hat nämlich gesagt, Österreich beziehungsweise wir hätten keine gesetzliche oder legalistische Verantwortung, das sei reine moralische Verpflichtung.

Frau Ministerin! Das ist ein Rückschritt angesichts dessen, was Vranitzky gesagt hat, der nämlich sehr wohl von einer moralischen und rechtlichen Verpflichtung gesprochen hat. Ich erwarte mir von Ihnen, dass Sie diese rechtliche Verpflichtung sehr wohl auch benennen und nicht so tun, als ob Österreich diese nicht hätte.

Kurz noch dazu, warum das denn gerade jetzt passiert. Das soll wohl Kitt sein für die Koalition mit den Freiheitlichen, das soll wohl Kitt sein für eine Koalition, bei der die Brüche ganz massiv sichtbar werden, bei der sichtbar wird, dass Sie zwar in einigen Punkten – vielleicht im Wirtschaftsbereich – sehr wohl übereinstimmen, dass es hier aber andere Details gibt, wo diese Koalition schon sehr im Gebälk kracht.

Was Sie mit diesen Formulierungen und mit dieser Negierung der Verantwortung und der Mitschuld der Österreicherinnen und Österreicher zur Zeit des Nazi-Regimes auch tun, ist, dass Sie


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite