Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 49. Sitzung / Seite 93

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so etwas wie ein Netz auswerfen all jenen gegenüber, die mit dieser Lebenslüge von Österreichs ausschließlicher Opferrolle weiterleben wollen und sich von geschichtlichen Tatsachen nicht irritieren lassen wollen.

Außerdem sieht es danach aus, dass hier zwei Geschichtsverständnisse zusammentreffen. Da ist zum einen die ÖVP, die den Ständestaat, die das Dollfuß-Regime verteidigt und sagt, deswegen, weil es den Staat Österreich verteidigt hat, ist alles andere, was dieses Regime verbrochen hat, anscheinend legitim. Dieser Ständestaat wurde zum Opfer, und deswegen ist auch Österreich das Opfer. Gleichzeitig gibt es jene, eher im Bereich der Freiheitlichen angesiedelt, die alle Schuld von sich weisen wollen und nicht wirklich bereit sind zur Restitution, auch wenn die Regierung jetzt ein bisschen etwas tut. (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Frau Ministerin! Ich fordere Sie auf: Stellen Sie klar, dass Sie die Österreicherinnen und Österreicher ... (Abg. Dr. Khol: Die Redezeit ist lange zu Ende!)

Präsident Dr. Heinz Fischer: Bitte um den Schlusssatz!

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (fortsetzend): ... nicht nur als Opfer sehen, sondern sehr wohl als mitverantwortlich an den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes betrachten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

15.14

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet hat sich die Frau Bundesministerin. Redezeit: 10 Minuten. – Bitte, Frau Ministerin.

15.14

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner: Herr Präsident! Hohes Haus! Am 4. Mai hat der polnische Außenminister Bartoszewski, selbst ein ehemaliger Häftling in Konzentrationslagern, in diesem Haus aus Anlass des Jahrestages der Befreiung von Mauthausen gesagt – ich zitiere wörtlich –:

"Ein Jahr vor meinem Abitur wurde die souveräne Republik Österreich auf der Landkarte Europas ausgelöscht."

Und ich muss sagen, seine damalige Rede hat mich sehr beeindruckt.

Wir können heute die historische Wahrheit nicht umschreiben. Österreich war als Staat das erste Opfer des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland. Genau das habe ich eben in meiner Rede bei der Auslandskulturtagung gesagt, die Anlass dieser Debatte ist.

Bundeskanzler Schüssel hat ebenfalls stets beide Seiten der schweren österreichischen Geschichte angesprochen. Sie erinnern sich, er hat in seinem Interview in der "Jerusalem Post" die historische Verantwortung Österreichs für das bekräftigt, was Österreicher als Täter in der Zeit des Nationalsozialismus getan haben. Er hat aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass völkerrechtlich das souveräne Österreich das erste Opfer des Nazi-Regimes war.

Damit hat er die offizielle Position Österreichs bekräftigt, wie sie der damalige Bundeskanzler Dr. Vranitzky 1991 im Nationalrat formuliert hat, der nämlich sagte – ich zitiere, und Sie können das überall nachlesen –:

"Es ist unbestritten, daß Österreich im März 1938 Opfer einer militärischen Aggression mit furchtbaren Konsequenzen war."

Dr. Vranitzky sprach dann von österreichischen Tätern und sagte – Zitat –: "Viele Österreicher waren an den Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen des Dritten Reiches beteiligt, zum Teil an prominenter Stelle. Über eine moralische Verantwortung für Taten unserer Mitbürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen." – Zitatende.

Zu dieser Verantwortung bekennt sich selbstverständlich auch diese Bundesregierung, die innerhalb weniger Monate – das brauche ich eigentlich nicht noch einmal zu sagen – die Frage


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