Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 49. Sitzung / Seite 91

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15.03

Abgeordnete Mag. Ulrike Lunacek (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Hohes Haus! Es geht hier um die Besprechung einer Anfrage und deren Beantwortung durch die Frau Außenministerin. (Lebhafte Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der ÖVP und der Grünen. – Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)  – Danke. – Darin ist es um ihre Rede anlässlich der Auslandskulturtagung Ende August gegangen. (Weitere anhaltende Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten der ÖVP und der Grünen. – Abg. Schwarzenberger: Sie hat gesagt, die Lumpen-Partie da drüben! – Ruf bei den Freiheitlichen: Das hat sie gesagt? – Abg. Dr. Partik-Pablé: Da sollte man das Protokoll einsehen! Das sind Methoden!)

Ich würde mich jetzt sehr freuen, wenn die werten Damen und Herren Abgeordneten ihre Aufmerksamkeit in Richtung Podium lenkten und nicht weiter diskutierten. Meine Zeit hier ist nur beschränkt. Gut. (Weitere Zwischenrufe und Unruhe im Saal.)

Frau Ministerin! Sie haben in Ihrer Rede bei der Auslandskulturtagung vor den österreichischen Kulturattachés und Botschaftern den deutschen Außenminister kritisiert und gemeint, er habe von den besonderen historischen Erfahrungen Österreichs und Deutschlands gesprochen und dass er damit beide Staaten gleichermaßen für den Nationalsozialismus verantwortlich machen wollte. Sie haben gesagt, dass diese Haltung schlichtweg falsch sei, und weiters haben Sie gesagt, dass sich die historische Erfahrung Österreichs in wesentlichen Punkten von jener Deutschlands unterscheidet, denn Österreich ist am 13. März 1938 militärisch überfallen und okkupiert worden.

Für den Staat Österreich stimmt das ja – das haben wir in den letzten Tagen schon des Öfteren diskutiert –, aber auf die Frage, ob das Geschichtsverständnis Österreichs damit geändert werde und ob auch die Erklärung Vranitzkys, in der er die Mitschuld Österreichs eingestanden hat, verändert werden solle, haben Sie nur mit Nein geantwortet und die Präambel der Regierungserklärung zitiert, in der steht:

"Unser Land nimmt die hellen und die dunklen Seiten seiner Vergangenheit und die Taten aller Österreicher, gute wie böse, als seine Verantwortung an."

Frau Ministerin! Diese Antwort ist für mich nur eine halbe, denn Sie gehen in keinem Punkt auf den zweiten Teil der Wahrheit ein, und damit ist diese Position, die Sie hier darlegen, eine Verzerrung. Sie sprechen vom österreichischen Staat, der von den Nazis okkupiert wurde und der als Staat dann nicht mehr bestand – das stimmt, das ist verfassungsrechtlich richtig, das stimmt historisch –, aber Sie implizieren damit gleichzeitig, dass damit auch die Österreicherinnen und Österreicher gemeint sind und dass gemeint ist, dass die auch nur Opfer waren.

Ich finde es interessant, dass diese Haltung in den letzten Wochen und Monaten des Öfteren wiederkehrt, und zwar in einem Ausmaß, in dem wir es von ÖVP-Politikerinnen und -Politikern in den letzten Jahren meiner Erinnerung nach nicht so oft gehört haben.

Ähnlich hat ja der frühere Außenminister und jetzige Bundeskanzler Schüssel in seinem Interview mit der "Jerusalem Post" am 9. November argumentiert, und es sieht so aus, dass sowohl Sie, Frau Außenministerin, als auch der Herr Bundeskanzler tatsächlich davon ausgehen, dass Österreich und die Österreicher und Österreicherinnen in denselben Topf zu werfen seien, indem Sie sagen: Das ist alles gleich! Der Staat Österreich hat nach dem März 1938 nicht mehr existiert, er war das Opfer, und die Österreicher und Österreicherinnen haben auch nichts damit zu tun gehabt!

Dieser zweite Teil, die Rolle und die Verantwortung der Österreicherinnen und Österreicher, der kommt ja auch in der Regierungserklärung nur sehr vage formuliert vor und nicht so eindeutig, wie das mittlerweile klar sein sollte. Es sollte klar sein, dass Österreicher und Österreicherinnen sehr wohl und in viel höherem Ausmaß, als das 1945 klar war, teilgenommen haben an den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes.


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