Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 49. Sitzung / Seite 96

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Die deutsche Reichsregierung hat dem Herrn Bundespräsidenten ein befristetes Ultimatum gestellt, und der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen.

Meine Damen und Herren! Klar ist aber auch, dass Österreich zwischen 1934 und 1938 keine Demokratie war, sondern ein autoritärer Ständestaat. Das war seit der von Bundeskanzler Dollfuß so genannten Selbstausschaltung des Parlaments am 7. März 1933 der Fall, die der Dritte Präsident des Parlaments, nämlich der Großdeutsche Straffner, vergebens zu verhindern versucht hat.

Dass seit dem Bürgerkriegsjahr 1934 der österreichische Ständestaat politisch zwischen dem faschistischen Italien Mussolinis und dem nationalsozialistischen Deutschland lag, ist wissenschaftlich ebenfalls unstrittig. Maßgeblichen Einfluss an dieser Ausrichtung hatten mit Sicherheit die Heimwehren beziehungsweise deren Führung.

Dass die Erste Republik politisch und wirtschaftlich instabil war, hat eine Reihe von Gründen, deren Erforschung ganze historische Seminare beschäftigt hat. Es war zum einen die Auseinandersetzung paramilitärischer Verbände, der Heimwehren, des Republikanischen Schutzbundes, die eine ständige Bürgerkriegsgefahr in dieser Ersten Republik heraufbeschworen, zum anderen aber auch die schwierige wirtschaftliche Lage.

Sie war gekennzeichnet durch eine hohe Arbeitslosigkeit; heute würde man sicherlich sagen: Massenarbeitslosigkeit. Und diese Wirtschaftskrise hat sich ab dem Jahre 1929 verschärft, als der Zollunionsplan des Bundeskanzlers Schober endgültig gescheitert war. Außerdem war damals – und das war ebenfalls ein Faktor – die Anschluss-Idee der Jahre 1918/1919 noch nicht tot. Ich möchte zwei Namen nennen, die dafür stellvertretend genannt werden können: Otto Bauer, aber auch Karl Renner, zwei bekannte sozialdemokratische Politiker, Staatsmänner.

Die Anschluss-Idee bei den Sozialdemokraten war erst nach der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland vorbei. Der Anschluss-Gedanke war aber nicht nur auf die politischen Eliten jener Zeit beschränkt, sondern durch den Zwang der drückenden wirtschaftlichen Verhältnisse in breiten Bevölkerungsschichten verankert. Die Leute, die damals gejubelt haben, haben Arbeit und Beschäftigung, aber nicht Krieg und Konzentrationslager erhofft.

Der französische Kriegspremier Clemenceau hat nach dem Ersten Weltkrieg zynisch festgestellt: "Österreich? Das ist der Rest!" – Und aus dem Staat, den 1918/1919 "niemand wollte", war 1938 ein Staat geworden, den zu Wenige wollten.

Abschließend noch eine Bemerkung zu der Schlagzeile der Grünen, der angeblichen Revision der österreichischen Geschichte. (Präsident Dr. Fischer gibt das Glockenzeichen.)

Meine Damen und Herren! Dieses Wort "Revision" – und damit komme ich zum Schluss – ist natürlich ein Totschlag-Vokabel in dieser Diskussion, denn eine Revision des Geschichtsbildes gibt es immer. Immer, wenn neue Geschichtsforschungen vorliegen, muss das Geschichtsbild revisioniert oder geändert werden, und deswegen bekennen wir uns auch dazu, dass man diese neuen Vokabel einfließen lässt. Wir haben aber mit dem Antrag, wie Sie ihn vorgebracht haben, nichts zu tun, weil das Ausdruck eines politischen Kampfes und nicht einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist. – Danke. (Bravorufe und anhaltender Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

15.30

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Tancsits. Gleiche Redezeit. – Bitte.

15.30

Abgeordneter Mag. Walter Tancsits (ÖVP): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Hohes Haus! Die Debatte darüber, ob der Satz der Frau Außenministerin, "Hitler-Deutschland hat Österreich militärisch überfallen und okkupiert", eine Revision der Geschichte darstellt, wirft bei mir die Frage auf: Wem sollte eine solche Revision denn nützen?


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