Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 50. Sitzung / Seite 77

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Der Brief, wird jetzt gesagt, ist eine Fälschung. Man geht ja noch nicht so weit und sagt, Herr Kleindienst ist eine Fälschung oder die anderen Beamten sind eine Fälschung oder die anderen Beweismittel sind Fälschungen. Jetzt wird nur behauptet, ein Brief sei eine Fälschung, was im Übrigen noch nicht erwiesen ist, weil die kriminaltechnische Untersuchung aussteht. Ich würde mit einem gewissen Interesse zur Kenntnis nehmen, wenn die kriminaltechnische Untersuchung ergibt, der Brief ist fünf Jahre alt, aber möglicherweise gefälscht worden. Wer hat dann vor fünf Jahren die Spitzelaffäre schon vorausgeahnt und vorsichtshalber eine Fälschung angelegt? Das, meine Damen und Herren, müsste dann besonders untersucht werden.

Jetzt gibt es mehrere Möglichkeiten: Sie verdächtigen die Beamten. Diese Verdächtigung klingt nicht übermäßig einleuchtend. Welcher Kriminalbeamte, der weiß, dass plumpe Fälschungen, so es sich um eine solche handelt, sofort auffliegen, weil das natürlich untersucht wird, spätestens dann im gerichtlichen Verfahren, bedient sich einer plumpen Fälschung? Es gibt doch einen einzigen Profiteur dieser Fälschung, und der heißt Dr. Jörg Haider. Und das sollte an dieser Stelle einmal festgehalten werden! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Damit unterstelle ich Dr. Haider nicht, dass er selbst diesen Brief fabriziert hat. (Abg. Dr. Krüger: Das war eine Verleumdung, nichts anderes! Das war eine Verleumdung, was Sie eben gemacht haben!)

Herr Vorsitzender! Ich nehme zur Kenntnis, dass der Begriff "Verleumdung" gestattet ist, aber der Begriff "flüchtig" oder "abgängig" nicht. Okay, man lernt nicht aus bei dieser Vorsitzführung. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Herr Abgeordneter! Ich habe diesen Begriff nicht gehört. Ich werde mir gerne das Protokoll kommen lassen und darauf entsprechend reagieren. (Abg. Dr. Mertel: Am rechten Ohr ist er taub!)

Abgeordneter Dr. Peter Pilz (fortsetzend): Danke, Herr Präsident. – Das Entscheidende ist aber nicht das Verhalten der freiheitlichen Funktionäre, weil Verdächtige und vielleicht bald Beschuldigte oder Angeklagte primär ein persönliches Interesse haben, sich der Strafverfolgung und auch der parlamentarischen Untersuchung zu entziehen. Das Entscheidende ist für mich neben dem Verhalten des Innenministers, das in den letzten Tagen nicht mehr so eindeutig – zumindest öffentlich – war wie am Beginn der Affäre, das Verhalten des Bundeskanzlers. Ja was ist das für ein Bundeskanzler (Rufe bei der ÖVP: Ein guter! Ein ausgezeichneter!), der sich über die Demonstration des Österreichischen Gewerkschaftsbundes aufregt, aber nichts dabei findet, dass seine Vertreterin in der Bundesregierung als Vizekanzlerin öffentlich zum Unterbrechen eines rechtsstaatlichen Verfahrens aufruft (Beifall bei den Grünen und der SPÖ) und damit zumindest im politischen Sinne ihr Amt missbraucht?

Was ist das für ein Bundeskanzler, der sagt: Wenn wer angeklagt ist und es kein Gewaltverbrechen ist, dann regiere ich mit ihm weiter!? – Ich werde einmal den Herrn Bundeskanzler abfragen, mit welcher Verbrechen Angeklagten, Verdächtigen, Beschuldigten er weiter regieren will.

Wissen Sie, etwa der Verkauf von Kinderpornos über das Internet ist kein Gewaltverbrechen, aber ich würde niemals behaupten, dass jemand, der dieses Verbrechens beschuldigt wird, für Regierungstätigkeiten qualifiziert ist. Die Scheckfälschung und vieles andere – keine Gewaltverbrechen. Ja heißt das, dass Scheckfälscher, Urkundenfälscher und so weiter mitregieren könnten, nur damit der Bundeskanzler weiter Dr. Schüssel heißt? Letzten Endes würde das heißen, der Fälscher des Binder-Briefes könnte ohne weiters mitregieren. (Abg. Edlinger: Vielleicht regiert er mit!) Er hat sich ja keines Gewaltverbrechens schuldig gemacht. Und die Frage ist ja nach wie vor offen, ob das nicht längst der Fall ist und das schon vorweg eine Rechtfertigung aus dem Amt des Bundeskanzlers ist.

Genau das haben wir zu diskutieren: warum Stück für Stück Freiheitsrechte eingeschränkt werden – das Demonstrationsrecht, die Freiheit der Journalisten, die Freiheit der Abgeordneten –, warum mit Prozesslawinen aus der Kanzlei des Justizministers Menschen, die sich schlechter wehren können als wir Abgeordnete, mundtot gemacht werden, warum kleine Bürger


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