Der unsoziale Ambulanzselbstbehalt bringt eine extreme Ausweitung der Bürokratie in den Spitälern.
Die heranrollende Bürokratielawine wird den ÄrztInnen viel Zeit und den Spitälern viel Geld für die PatientInnenbetreuung rauben. SpitalsärztInnen müssen vor Ort entscheiden, wer von den PatientInnen Ambulanzgebühr bezahlen muss und wer nicht. Dazu bedarf es einer bisher nicht vorgesehenen zusätzlichen Datenerhebung: Es muss geprüft werden, ob ein Notfall mit Lebensgefahr vorliegt, ob die Erreichbarkeit alternativer Angebote gegeben war, usw. Diese blühende Bürokratie nimmt den ÄrztInnen wertvolle Zeit, die viel besser für PatientInnengespräche genutzt werden könnte.
Aus diesem Grund kam es auch innerhalb der ÖVP zu sehr heftigen Auseinandersetzungen:
Schüssel-Vize: "Fehlentscheidung"
Für Tirols Gesundheitslandesrätin Elisabeth Zanon-zur Nedden (ÖVP), selbst Ärztin, ist der Befund in Sachen Ambulanzgebühr klar: "Das ist eine unüberlegte Geschichte und einfach falsch", so die seit 1994 im Gesundheitsressort "regierende" Politikerin, die seit April 1995 auch Schüssels Stellvertreterin an der ÖVP-Spitze ist. Im Gespräch mit dem "Standard" (3. März 2001) sagte Zanon-zur Nedden: Die Politik müsse den Mut haben, "Fehlentscheidungen" zurückzunehmen.
"Schon Grundgedanke falsch"
Zanon-zur Nedden kann dem Grundgedanken der Ambulanzgebühr, PatientInnen verstärkt von den Ambulanzen hin zu den niedergelassenen Ärzten zu verlagern, nichts abgewinnen. Sie argumentiert, dass das Leistungsangebot der freien Praxen meist nicht an jenes der Ambulanzen heranreiche.
Görg spricht von "Schwachsinn"
Wiens Landeschef Bernhard Görg unterstützt diese Position: "Diese Regelung – so weit ich sie verstehe – halte ich für Schwachsinn." Auch Görg kritisierte, dass der administrative Aufwand für Ärzte und Schwestern "Wahnsinn" sei. Ins Visier nimmt er vor allem Gesundheitsstaatssekretär Reinhart Waneck (FPÖ), der im Vorjahr das erste Kassen-Sanierungspaket mit der Ambulanzgebühr führend ausverhandelt hatte. Wörtlich spricht Görg von einer "Waneck‘schen Fehlleistung von kosmischen Ausmaßen".
Die Sorgen maßgeblicher ÖVP-Landesräte über den unsozialen Ambulanzselbstbehalt wurden in einem Brief an Gesundheitsminister Haupt zusammengefasst:
1. Die Behandlungsgebühr Ambulanz in der derzeitigen Form führt zu Ungerechtigkeiten, da die völlig unzulängliche Definition der Ausnahmetatbestände der Willkür Tür und Tor öffnet.
2. Der Behandlungsbeitrag Ambulanz in der derzeitigen Form ist unzumutbar, da er zu Rechtsunsicherheit bei den Patienten, bei den im Krankenhaus tätigen Ärzten und sonstigen Mitarbeitern und auch bei den Rechtsträgern und Spitalsverwaltungen führt.
3. Der Behandlungsbeitrag Ambulanz in der derzeitigen Form ist weder als Steuerungs- noch als Finanzierungselement geeignet, da er zu einem massiven Verwaltungsaufwand führt, der einen erheblichen Teil der Erträge sofort wieder bindet.
4. Die Tatsache, dass von Ihnen in die Verordnung über die Ausnahmen von der Einhebung des Behandlungsbeitrages Ambulanz ohne Begutachtung eine wesentliche Änderung eingefügt wird, nämlich, dass gemäß § 1 der Verordnung die Feststellung über die Ausnahme vom Behandlungsbeitrag allein dem behandelnden Spitalsarzt obliegt, ist sowohl von der Vorgangsweise, als auch voll inhaltlich abzulehnen.
Der Bundeskanzler kanzelte die Einwände als technische Fragen ab: