Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 62. Sitzung / Seite 112

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

die sich nur mehr mit einer Unterschriftenaktion seitens der Richter und Staatsanwälte zur Wehr zu setzen wusste. Der Alt-Parteiobmann der FPÖ warf den Staatsanwälten vor, sie hätten "nachweislich das Recht gebeugt und gebrochen".

Dem Untersuchungsrichter Erdei wurde schon damals offenbar eine zentrale Rolle zugewiesen, und auf ihn hat man sich damals auch schon besonders eingeschossen. Klubobmann Westenthaler hat damals über U-Richter Erdei gesagt, er sei "mit fürchterlichen Fehlern behaftet. Der Mann hat sie ja nicht alle."

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die "fürchterlichen Fehler" waren, wie wir heute sehen, dass dieser Untersuchungsrichter eine korrekte Auffassung von seinem Amt hat und das Rückgrat besitzt, sich dieser Druckwelle nicht zu beugen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Nachdem das alles nichts genutzt hatte, forderte die Vizekanzlerin der Republik – nicht irgendjemand – offiziell ein Ende der Ermittlungen gegen Jörg Haider. Nur als Fußnote dazu, wie in der Freiheitlichen Partei die Spitzelaffäre offensichtlich bewertet und diskutiert wird, möchte ich noch den Salzburger Parteivorsitzenden Schnell zitieren, der damals gesagt hat: "Ohne Spitzel könnte es keine Demokratie geben." – Das ist offensichtlich die Art und Weise, wie Sie nach wie vor diesen Skandal reflektieren! Daher Ihre Verständnislosigkeit.

Seit Wochen und Monaten laufen die Ermittlungen, und seit einigen Tagen erregt wieder eine Neuigkeit nach der anderen die öffentliche Aufmerksamkeit (ironische Heiterkeit bei den Freiheitlichen) – erst wieder in den letzten Tagen, und das dafür umso massiver.

Der erste Anlass war ein neues Gutachten betreffend den so genannten Binder-Brief. Wir alle erinnern uns noch sehr gut an das Getöse, das ausgebrochen ist, als das Erstgutachten vorlag, das diesen Brief als Fälschung bezeichnet hat. Dieses Gutachten stammt von einem durchaus umstrittenen Gutachter. In einer Sendung im ORF wurde dieser Gutachter interviewt. Im Anschluss an dieses Interview wurden von den Journalisten, die sich damit befasst haben, eine Reihe von Fragen gestellt, die nach wie vor aktuell sind. – Ich zitiere:

"Auch wenn also dieser Mann, Haider-Leibwächter Horst Binder, diesen Brief nicht unterschrieben hat, so wirft das gefundene Papier im Keller Binders natürlich einige Fragen auf.

Punkt 1: Im Keller gab es keine Einbruchspuren. Wie soll also die Fälschung dort hinterlegt worden sein und von wem?

Punkt 2: Im Schreiben steht die alte D-Netz Handynummer von Horst Binder. Wer kennt heute noch eine veraltete 0663er Nummer, die schon lange durch eine GSM-Nummer ersetzt wurde?

Punkt 3: Dem Brief waren 2 EKIS-Ausdrucke beigefügt. Diese stammen nachweislich aus Ende 1994. Wie kam jemand, der die Unterschrift fälscht, zu diesen alten Ausdrucken und wie diese in Binders Keller?

Punkt 4: Warum gibt es einen Aufgabeschein der Villacher Post, wenn der Brief nie abgeschickt wurde?

Alles in allem Fragen, die derzeit" – und ich füge hinzu: nach wie vor – "niemand schlüssig beantworten kann. Daher stellt sich die Gretchenfrage: Können sich auch Gutachter irren?"

Offenbar hat sich der Gutachter geirrt, denn es liegt jetzt ein neues Gutachten vor, das diesen Brief als sehr wahrscheinlich echt bezeichnet. Wir erinnern uns an das Getöse nach dem ersten Gutachten, als es von Vertretern der Freiheitlichen Partei geheißen hat, dass mit diesem Brief das Hauptbelastungsmittel gegen Jörg Haider zusammengebrochen sei. Was bedeutet das, wenn jetzt ein Gutachten sagt, dieser Brief sei echt? Wenn dieser Brief sogar von der Freiheitlichen Partei als Hauptbelastungsmittel bezeichnet wurde, was bedeutet das, wenn dieser Brief jetzt echt ist?


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite