Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 69. Sitzung / Seite 94

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Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf der einen Seite heißt es zwar, dass der Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrages nach wie vor volle Gültigkeit hat; was auf der anderen Seite aber die einfachgesetzlichen Durchführungsbestimmungen des Staatsvertrags von Wien anbelangt, die beispielsweise vorsehen würden, dass seit dem Jahre 1977 in Kärnten 96 zweisprachige Ortstafeln zu stehen hätten, so müssen wir feststellen, dass davon 34 fehlen. – Ja bitte, jetzt weiß ich nicht, an welchen Geist, an welchen Konsens da appelliert wird, wenn in Kärnten täglicher Verfassungsbruch stattfindet, wenn selbst jene laut Verordnung des Bundeskanzlers aufzustellenden Ortstafeln dort nirgends stehen – und das ist eine Verordnung, die völlig gültig ist, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Das war nur die Einleitung. Nun zur Charta: Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Im Jänner 1995 hat der Nationalrat einen einstimmigen Beschluss – damals waren fünf Parteien im Nationalrat vertreten – gefasst, der die Bundesregierung aufgefordert hat, doch endlich einen Ratifizierungsvorschlag, eine Regierungsvorlage zur Ratifizierung der Charta der Regional- oder Minderheitensprachen vorzulegen, denn bereits 1992 hat Österreich diese Charta unterzeichnet. Seither sind neun Jahre vergangen, während der Österreich geprüft und studiert hat, was von dieser Charta – die man damals schon unterzeichnet hat – für uns wohl Gültigkeit habe. (Präsident Dr. Fasslabend übernimmt den Vorsitz.)

Lassen Sie mich nur einen kurzen Augenblick dafür verwenden, um Ihnen zu sagen, was das ganze "Werkel" überhaupt für uns, sprich für unsere Minderheiten und Minderheitensprachen, bringt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Österreich hat sich bei der Unterzeichnung dieses Vertrages so verhalten wie auch im Zusammenhang mit vielen anderen internationalen Verträgen, nur: Hier ist es besonders bedauerlich, denn diese Chance auf Weiterentwicklung eines Rechtsgebietes beziehungsweise eines politischen Bereiches, der sich zwar manchmal als Konflikt darstellt – der für die Volksgruppen aber einen existentiellen Konflikt bedeutet! –, ist völlig ungenutzt geblieben. Insgesamt 70 Punkte werden in der Charta der Regional- oder Minderheitensprachen den jeweiligen Unterzeichnerstaaten vorgelegt, damit diese davon selbst jene auswählen mögen, in Bezug auf die sie sich binden und zu deren Umsetzung in ihrem jeweiligen Land sie sich verpflichten wollen, wobei nur jemand, der mindestens 35 davon auswählt, sozusagen im Boot der Verpflichtung sitzt.

Wissen Sie, wie viele Punkte Österreich ausgewählt hat? – Exakt 35, also genau das Minimum, das erforderlich war, damit wir diese Charta überhaupt ratifizieren können – ganz im Gegensatz zu anderen Staaten in Europa, in denen es auch Minderheiten und Volksgruppen gibt, wie beispielsweise Finnland, das für die Sami 59 von 70 Punkten und für die schwedische Sprachminderheit 65 von 70 Punkten ausgewählt hat. Ich spreche hier nicht von Ländern, die ganz unterschiedlicher Größenordnung wären, denn Finnland ist durchaus mit Österreich vergleichbar, und dies auch, was sein Sozialsystem und sein Rechtssystem betrifft.

Auch die Schweiz hat sich nicht mit nur 35 Punkten, was die Minimalvariante wäre, für die Rätoromanen verpflichtet, sondern mit 49 Punkten. Ungarn – ein Land, in Bezug auf das manche von uns manchmal noch Zweifel haben, ob die Demokratie dort denn auch wirklich so hoch entwickelt wäre wie in Österreich; diese Vorbehalte gibt es ja noch, vor allem von der rechten Seite – hat bei der Ratifizierung auch 47 von den 70 Punkten gewählt. Aber Österreich beschränkt sich auf 35, und für diese 35 hat man auch neun Jahre lang gebraucht.

Ich verhehle aber nicht, meine Damen und Herren, dass ich mich vor allem auch als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates freue, dass die Ratifizierung endlich passiert, denn sie verschlechtert nicht – aber sie verbessert freilich auch nicht.

Aber jetzt zum Punkt "Verschlechtern". Um Ihnen nur ein Beispiel dieses von "Konsens" geprägten Klimas und dieses unglaublichen "Fortschritts" in minderheiten- und volksgruppenpolitischen Fragen, den es nach der Darstellung von Herrn Dr. Ofner seit der Wende, wie er es ausgedrückt hat, geben soll, zu dokumentieren: Nun ja, die Staatszielbestimmung haben wir gemeinsam beschlossen. Das ist eine grüne Initiative aus dem Jahr 1995. Wir haben zugestimmt, und ich


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