Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 69. Sitzung / Seite 177

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Meine Damen und Herren! Der Patient liegt uns am Herzen. (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

18.42

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Grünewald. Ihre Redezeit ist wunschgemäß auf 7 Minuten eingestellt. – Bitte.

18.42

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Liebe Frau Kollegin und durchaus geschätzte Kollegin Povysil! Lassen Sie mich einmal ein Beispiel bringen: Sie kommen auf einen Bahnhof, möchten eine Fahrkarte lösen, bezahlen sie, und der Schalterbeamte sagt zu Ihnen: Bitte, jetzt kommt noch ein Zuschlag von 10 S dazu, weil es sein könnte, dass der Lokführer heute nicht so wunderbar beisammen ist, eine Weiche falsch gestellt, ein Signal verkehrt herum gepolt ist. – Das ist Ihre verschuldensunabhängige Medizinhaftung umgelegt auf die ÖBB.

Unser Modell schaut etwas anders aus, und das wissen Sie auch. Wir haben es geschaffen, weil Haftungsfragen im Bereich so genannter ärztlicher Kunstfehler seit Jahrzehnten immer wieder Stein des Anstoßes, Anlass von Ärgernissen und ein lang, lang bekanntes Problem sind, das bislang nicht befriedigend gelöst wurde, muss man sagen. Das derzeitige System der Patientenentschädigung, der verschiedenen Entschädigungsfonds, dann auch unterschiedlichster Mediationsversuche im Streitverfahren sind alle nicht die Lösung, die sich die Mehrheit der Betroffenen, wenn sie das System erlebt haben, wünschen kann.

Faktum ist, dass internationale Studien davon sprechen, dass zirka 3 Prozent aller stationär aufgenommenen PatientInnen einen durch die Medizin bedingten Behandlungsschaden erleiden. Das klingt nach sehr viel, viele Fälle sind allerdings nicht sehr schwer. Insgesamt 1 Prozent ist in direkter Assoziation mit Ärzten geschehen.

Wie soll man darauf reagieren? – Ich teile Ihnen ein weiteres Faktum mit: Die Masse aller Patientinnen und Patienten klagt nicht, weil sie im Unklaren ist, ob sie durch eine Behandlung Schaden erlitten hat. Sie erlebt das als Schicksal, obwohl es kein Schicksal war. Solche Sachen sind gar nicht so selten, wie Sie vielleicht glauben möchten und mancher Arzt oder manche Ärztin zu glauben hofft.

Der Bruchteil von Patienten und Patientinnen, die es wagen, eine Anklage zu erheben, steht vor der Tatsache, dass nur etwa 90 Prozent – was heißt "nur"?, ich muss es umgekehrt sagen –, dass nur etwa 10 Prozent aller Klagen zu einem Erfolg führen und 90 Prozent abgewiesen werden. Viele werden schon von ihren Rechtsanwälten dahin gehend beraten, dass sie wegen hohen Kostenrisikos und Aussichtslosigkeit in komplizierten Gutachterverfahren diesen Weg gar nicht beschreiten sollen.

Was ist der Grund dafür? – Der Grund dafür ist die verschuldensassoziierte Rechtsprechung in einer immer komplexeren und schwierigeren Medizin. Schuld ist auch das sehr schwierige Zivilrechtsverfahren, in dem Ansprüche auf Grund schuldhaften Verhaltens durchgesetzt werden müssen. Das derzeitige System ist also ein Konfrontationsmodell mit einigen gravierenden Nachteilen. Ein Nachteil: überlange Verfahrensdauer, zweiter: sehr hohes Kostenrisiko, dritter: Gutachterkriege, vierter: sehr schwierige Beweisführung, weil ein Großteil der Schäden nur durch geringfügige Fahrlässigkeit entsteht, die in einer komplexen Medizin kaum nachzuweisen ist.

Es besteht auch eine falsche Schadensallokation. Wer bezahlt denn die Folgen der erlittenen Schäden? – Die von Ihnen geschmähte Sozial- und Krankenversicherung, niemand anderer! Dann gibt es noch das Problem der öffentlichen Rufschädigung von Ärzten und der mangelnden und gestörten Vertrauensbeziehung zwischen PatientInnen und Ärzten.

Auch eine Beweislastumkehr würde am schlechten Verfahren nichts ändern, weil sie nur den schwarzen Peter von den Patienten zu den Gesundheitsberufen schiebt, aber das Zivilrechtsverfahren, bei dem im Prinzip nur die Anwälte gewinnen, sonst niemand, beibehalten wird.


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