Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 70. Sitzung / Seite 73

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13.20

Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Hohes Haus! Wenn man den Vertrag von Nizza betrachtet, merkt man, dass eines mehr denn je sichtbar wird: Die Gestaltung Europas lässt sich in der bisherigen Form sicherlich nicht fortführen!

Wie das Europäische Parlament in einem Bericht feststellte: Zehn Monate lang, hinter verschlossenen Türen verrammelt, über einen Vertrag zu diskutieren, ohne die Öffentlichkeit einzubinden, ist für Europa nicht zukunftsträchtig.

Daher bin ich der Überzeugung, dass sich auch diese Debatte nicht nur auf institutionelle Fragen beschränken darf, sondern Fragen der Sicherheit, Fragen vor allem – aus meiner Sicht – der Beschäftigung absolut miteinschließen muss und diese in diesem Prozess auch ihren Niederschlag finden müssen.

Es ist bedauerlich, dass es nicht gelungen ist, die Grundrechts-Charta, die auch in unserem Lande diskutiert wurde, in diesen Vertrag mit aufzunehmen. Dieser Hinweis, dass man das de facto sowieso anerkenne, bringt dem einzelnen Bürger in der Rechtsdurchsetzung überhaupt nichts, auch wenn das oberste EU-Gericht sagt, sie werden das de facto anerkennen. Es ist ja nicht einmal gelungen, in den europäischen Vertrag einen Verweis darauf aufzunehmen, dass man sich an der revidierten Sozialcharta des Europarates orientieren kann. – Nicht einmal das war möglich!

Ich meine, dass das schon ein deutliches Zeichen dafür ist, dass es mehr denn je notwendig ist, die Themenstellung Europas auf eine andere Ebene zu bringen.

Es ist heute schon darüber gesprochen worden, dass man im so genannten Post-Nizza-Prozess, Vorbereitung für 2004, eine stärkere Einbindung der Öffentlichkeit plant. – Ich bin der Ansicht, dass es notwendiger denn je ist, auch da deutlichere Signale in der Öffentlichkeit zu setzen, wie man das denn tatsächlich angehen möchte.

Ich glaube, dass wir uns durchaus ein Beispiel daran nehmen könnten, was ab dem Jahre 1993 bis zum Jahre 1995 in Österreich sehr intensiv geführt wurde, nämlich eine umfassende Debatte vor unserem EU-Beitritt, und zwar unter Einbindung aller möglichen Gruppen – egal, ob diese diesem Prozess kritisch oder positiv gegenüberstanden. Die bisherigen institutionalen Diskussionen dazu sind nicht ausreichend, und ich meine, dass auch die Bemühungen um eine öffentliche Debatte über die Grundrechts-Charta in Österreich im vergangenen Jahr gezeigt haben, dass all das nicht ausreicht, dass wir da also eine wesentlich breitere Basis erreichen müssen, wenn es hiefür wirklich Zustimmung geben soll. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich – ich habe das schon erwähnt – geht es mir vor allem auch um die Frage der Beschäftigung. Wie stellt sich Europa im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit suchen beziehungsweise Arbeit haben, dar? Da wird zum Beispiel für die bestimmende Politik in Europa nach wie vor das Geldmarkt-Kriterium angewandt, nämlich: Preisstabilität, Budgetdefizit, Staatsverschuldung, Zinsen und Wechselkurse. Seltsamerweise gelingt es nicht – trotz intensivster Debatten und trotz vorhandener Probleme! –, das Thema "Beschäftigung" auf die gleiche Ebene zu stellen, wie das zum Beispiel bei der Geldmarktstabilität in ganz Europa immer wieder der Fall ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Warum gelingt es nicht, Beschäftigung als Kriterium genauso aufzunehmen wie zum Beispiel die Zinsenpolitik? Können wir uns damit zufrieden geben, dass in den letzten Jahren in der Europäischen Union 7,2 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen wurden? Diese Tatsache ist, rein statistisch gesehen, ein schöner Erfolg, dennoch muss man sich auch die Frage stellen: Welche 7,2 Millionen Arbeitsplätze wurden denn da geschaffen? Wir können das ja hier bei uns in Österreich auch feststellen: Zunahme an geringfügiger Beschäftigung, Zunahme an Teilzeitbeschäftigung und im Großen und Ganzen nicht gerade eine hohe Qualifikation. – Ich meine daher, dass die Frage der Beschäftigung nicht ausschließlich von den Beschäftigtenzahlen her gesehen werden darf.


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