Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 70. Sitzung / Seite 81

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

In diesem Kontext könnte das Verfahren und die Debatte im Zusammenhang mit der EU-Grundrechts-Charta einen Weg weisen. Jene Beauftragten der Staats- und Regierungschefs, Europaabgeordneten, nationalen Parlamentarier und Kommissionsvertreter, die im Vorjahr eine Charta der Grundrechte formuliert haben, standen vor der sicherlich schwierigen Aufgabe, eine Balance zu finden zwischen der stärkeren Verankerung sozialer Grundrechte einerseits und deren Rechtsverbindlichkeit andererseits, und damit auch deren demokratischer Legitimität.

Man hat sich nicht nur mit den traditionellen Freiheits- und Partizipationsrechten begnügt, sondern auch Bestimmungen zum Schutz des Einzelnen vor wirtschaftlicher und sozialer Ausbeutung formuliert. Die Charta wird künftig ein Instrument sein, mit dem sich die Menschen wehren können, wenn ihre Rechte der Arbeit, der Gesundheit, der sozialen Sicherheit und der Bildung beschnitten oder gefährdet werden. Daher ist die Proklamation der Charta in Nizza ein erster Schritt. Die Umsetzung in die Verträge, und damit die Erlangung von Rechtsverbindlichkeit, muss freilich erst folgen, bevor in einem weiteren Schritt so etwas wie eine europäische Verfassung formuliert werden kann.

Sicherlich leidet die Charta auch unter vielen Widersprüchlichkeiten, die sich aus dem unterschiedlichen Charakter der Integration in den einzelnen Mitgliedstaaten ergeben. Vieles bleibt offen beziehungsweise ist unbefriedigend gelöst, etwa die Umformulierung des Rechtes auf Arbeit in ein Recht zu arbeiten. Ein weiterer Punkt ist das Fehlen des Rechts auf ein Mindesteinkommen und damit auf eine menschenwürdige Existenz – das ist nicht dasselbe wie das Recht auf eine soziale Unterstützung, wie es im Artikel 34 der Charta formuliert ist. Jeder Mensch, ohne Ansehen des Geschlechts oder des Alters, hat das Recht auf ein garantiertes individuelles Einkommen, das Recht auf ein Mindesteinkommen, das Recht auf eine Mindestrente und einen Mindestlohn. (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Öllinger. )

Die Europäische Union braucht daher vor allem eine soziale Agenda, die diesen Namen verdient, im Besonderen im Hinblick auf die Osterweiterung der Union, wenn man will, dass dort nicht nur die Interessen der Investoren, Kaufleute und Händler bedient werden, sondern die Interessen der arbeitenden Menschen und deren Lebensbedingungen Berücksichtigung finden. Daher muss es noch eine breite Diskussion über die Weiterentwicklung der Europäischen Union geben, um die Akzeptanz bei der Bevölkerung zu erhöhen und die österreichische Position, die derzeit bei bestem Willen nicht zu erkennen ist – und zu deren Erarbeitung ich die Regierung gerne auffordern will –, festzulegen.

Dazu braucht es vor allem Zeit. Es macht keinen Sinn, die Erweiterung der Union hypertroph zu beschleunigen und dabei zynisch die soziale Sicherheit der Menschen zu gefährden. Daher hat auch die Ratifikation des Vertrags von Nizza Zeit, zumindest bis zur Positionierung des einzigen demokratischen Souveräns der EU, der in Nizza nicht eingebunden war, nämlich des Europäischen Parlaments in der zweiten Jahreshälfte 2001.

"Speed kills" – vor allem Menschen. Das sollten Sie von den Regierungsfraktionen aus eigener Anschauung inzwischen wissen, und daher sind Sie aufgefordert, besonders behutsam in den Prozess der Ratifikation einzusteigen. (Beifall bei der SPÖ.)

13.55

Präsident Dipl.-Ing. Thomas Prinzhorn: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Hakl. Freiwillige Redezeitbeschränkung: 10 Minuten. – Bitte.

13.55

Abgeordnete Mag. Karin Hakl (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Herr Minister! Geschätzte Damen und Herren! Wir reden über den Vertrag von Nizza, und wir sollten uns noch einmal in Erinnerung rufen, was das war. Es war eine Weichenstellung für Europa, eine Weichenstellung für die Erweiterung, eine Voraussetzung für die Erweiterung um 15 ost- und mitteleuropäische Staaten! Wenn er auch kein großer Wurf war, er hat den Zweck erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erweiterung wurden mit diesem Vertrag geschaffen. Dieser Vertrag ist die Grundlage, auf der man auf- und weiterbauen kann. Damit bin ich sehr zufrieden.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite