Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 72. Sitzung / Seite 112

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Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Dr. Ofner. Gleiche Redezeit von 5 Minuten. – Bitte.

15.25

Abgeordneter Dr. Harald Ofner (Freiheitliche): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Meine Damen und Herren! Ich darf bei zwei Vorrednern anknüpfen. Ich habe beiden Applaus gespendet. Der Erste war Herr Abgeordneter Dietachmayr, Vertriebenen-Sprecher der Sozialdemokratischen Partei, der richtigerweise festgehalten hat, dass diese 100 Millionen ein erster Ansatz in die betreffende Richtung sind, aber keineswegs ein letzter Ansatz sein dürfen. So ist es, so glaube ich, in der Anfragebeantwortung, um die es heute geht, auch gemeint gewesen.

Der Zweite ist der Vertriebenen-Sprecher der Österreichischen Volkspartei Mühlbachler, der sehr zutreffend erklärt hat, man müsse die Geschichte der Vertriebenen neu schreiben. Meistens wird das heißen müssen, man wird sie überhaupt zu schreiben haben, denn vieles ist nicht festgehalten. Man wird sich aber sehr beeilen müssen, sonst sind alle Zeitzeugen tot und begraben. Man wird also jene, die die Betroffenen sind, vielleicht erstmals in der Geschichte zu hören haben und das, was sie zu sagen haben, festzuhalten haben, damit man nicht nur auf das angewiesen ist, was politische Gegner aus anderen Ländern diesbezüglich zum Besten geben.

Tatsächlich ist es so, dass wir in den letzten Monaten und Jahren erfreulicherweise eine deutliche Sensibilisierung der österreichischen Öffentlichkeit, vor allem auch der österreichischen Politik, gegenüber den Opfern feststellen. Wir alle arbeiten an dieser Sensibilisierung mit. Es sind die Kriegsgefangenen und die vertriebenen Altösterreicher deutscher Zunge auch in diesem Bereich inbegriffen.

Es kann nur nicht schaden, wenn man sich die Dimensionen immer wieder in Erinnerung ruft, die dieses Genozidverbrechen seinerzeit aufgewiesen hat: 15 Millionen Menschen sind aus ihrer angestammten Heimat vertrieben worden, nur weil sie deutscher Muttersprache gewesen sind – nicht nur Österreicher, nicht nur Deutsche aus dem damals so genannten Altreich, sondern etwa auch die Liechtensteiner. Man hat gefragt, warum. Sie waren sehr vermögend, und es ist darum gegangen, auch ihr Vermögen bei der Gelegenheit gleich ernten zu können.

Von diesen 15 Millionen waren 5 bis 6 Millionen Altösterreicher deutscher Zunge. 3 Millionen von den 15 Millionen hat man bei dieser Gelegenheit umgebracht, davon allein im Gebiet der damaligen Tschechoslowakischen Republik – also der heutigen Staaten Tschechien und Slowakei – 242 000 namentlich aufgelistete Zivilisten. Das muss man alles, weil es heute schon so unfassbar erscheint und weil man Jahrzehnte hindurch immer wieder versucht hat, es unter den Teppich zu kehren, in Erinnerung rufen und festhalten.

Hunderttausende von den vertriebenen Altösterreichern deutscher Zunge aus einer ganzen Reihe von Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie haben sich in Österreich niedergelassen. Das war nicht immer ganz einfach, denn da war oft ein Pingpongspiel an der Grenze. Die Tschechen haben die Menschen, die Mütter mit den Kleinkindern am Arm zu Fuß an die Grenze gejagt. Und die Österreicher haben gesagt, das sind Tschechen deutscher Muttersprache, die nehmen wir nicht auf! Das ist im Niemandsland hin und her gegangen, bis die letzten Kinder tot waren. Alle Waldviertler und alle Weinviertler, vielleicht auch die Mühlviertler, kennen die Kindergräber bei den Grenzübergängen, in denen diese Kinder, die bei diesem menschenvernichtenden Pingpongspiel in den Armen der Mütter gestorben sind, bestattet worden sind.

Die Hunderttausenden Altösterreicher deutscher Zunge, die sich in ihrer alten neuen Heimat Österreich auf Dauer niedergelassen haben, haben zu unserem Wohlstand weitaus überproportional beigetragen, so behaupte ich. Sie waren außerordentlich fleißig, sie waren außerordentlich begabt. Sie haben zu der Bevölkerungsgruppe gehört, die Arthur Schnitzler als "industriös" bezeichnet hat. Er hat das auf die Böhmen insgesamt gemünzt gehabt: Die Böhmen sind ein "industriöses" Volk. – Das hat auf die Altösterreicher deutscher Zunge ganz besonders Bezug gehabt.


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