Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 72. Sitzung / Seite 125

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Ich mache darauf aufmerksam, dass kein Redner länger als 5 Minuten sprechen darf, wobei aber zunächst Frau Abgeordnete Lunacek und dann Herr Abgeordneter Dr. Kostelka zur Begründung eine Redezeit von 10 Minuten erhalten.

Bitte, Frau Kollegin Lunacek, Sie haben das Wort.

Oder ich nehme doch Kollegen Dr. Kostelka zuerst dran. Der Antrag Kostelkas ist der der stimmenstärkeren Fraktion, und wir gehen nach dem Prinzip "age before beauty" vor. Daher: Kollege Kostelka hat das Wort. (Heiterkeit.)

16.20

Abgeordneter Dr. Peter Kostelka (SPÖ): Sehr verehrter Herr Präsident! Danke für die freundliche Erwähnung meines Alters. (Heiterkeit.) Ich gehe aber trotzdem auf die Sache ein und möchte fürs Erste einmal feststellen, meine Damen und Herren, dass für mich Politik Gestalten heißt und nicht das Warten auf Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Das sage ich hier insbesondere im Zusammenhang mit dem in diesem Haus schon mehrmals diskutierten § 209 des Strafgesetzbuches und dem unterschiedlichen Schutzalter von Männern und Frauen hinsichtlich ihrer sexuellen Praktiken und deren Ausübung.

Meine Damen und Herren! Der § 209 ist Mitte der siebziger Jahre geschaffen worden, in der Überzeugung, dass die so genannte Prägungstheorie Realität ist, dass man zur Homosexualität verführt werden kann und dass es daher notwendig ist, einen entsprechenden Schutz für Jugendliche männlichen Geschlechts vorzusehen.

Die Zweifel, die es schon bei der Beschlussfassung dieses Gesetzes gegeben hat, haben sich aber in der Zwischenzeit in vollem Umfang bewahrheitet. Wissenschaftliche Erkenntnisse machen klar, dass eine Prägung viel früher stattfindet und dass die ehemalige Theorie, die Prägungstheorie, die Theorie der Verführung, nicht berechtigt ist.

Diese Realität hat sich in den Erkenntnissen und in den Diskussionen des Justizausschusses und in einer Enquete des Nationalrates niedergeschlagen, und es liegt nunmehr ein Antrag des Oberlandesgerichtes Innsbruck zur Aufhebung des § 209 vor. Diesen Satz, mit dem das Oberlandesgericht begründet, warum der Verfassungsgerichtshof den § 209 aufheben soll, muss man sich anhören: Das antragstellende Gericht, so sagt das Oberlandesgericht Innsbruck, hätte sohin den § 209 in der gültigen Fassung anzuwenden, hat aber Bedenken, dass die unterschiedliche Regelung des Schutzalters im Strafrecht zur Ungleichbehandlung führt und dass im Hinblick auf die zwischenzeitliche Verwerfung der Prägungstheorie durch die Wissenschaft im Sinne von Art. 8 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention noch zulässig ist, hier durch strafgesetzliche Normen regelnd einzugreifen.

Meine Damen und Herren! Das Gericht sagt deutlich: Wir können diese strafrechtliche Bestimmung nicht anwenden, weil sie menschenrechtswidrig ist. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Was zu einem Umdenken von Oberlandesgerichten geführt hat, wird hoffentlich auch zu einem Umdenken der Fraktionen von ÖVP und FPÖ führen. Denn, meine Damen und Herren: Es ist kein totes Recht, das hier aufgehoben werden soll. Jährlich sitzen rund 10 bis 20 Personen eben wegen dieser Bestimmung in österreichischen Gefängnissen ein. Es ist eine Bestimmung mit einer rigorosen Strafdrohung von sechs Monaten bis fünf Jahren. Allein um die Äquivalenz herzustellen, meine Damen und Herren: Das ist genau jene Strafrahmenbestimmung, die auch für das Töten auf Verlangen gilt, und das Quälen von Minderjährigen ist im Vergleich dazu sogar privilegiert, weil der diesbezügliche Strafrahmen null bis drei Jahre beträgt. Es ist daher in höchstem Maße notwendig, umzudenken.

Ich muss Ihnen, meine Damen und Herren von der ÖVP und von der FPÖ, auch ein gewisses Maß an Inkonsequenz vorwerfen. Sie haben es vor wenigen Monaten durchgesetzt, dass die Großjährigkeit, aber auch die volle Handlungsfähigkeit im Bereiche des Zivilrechtes auf 18 Jahre gesenkt wird. Aber entgegen der Realität anerkennen Sie nicht, dass die Sexualität in jungen Menschen vor dem 18. Geburtstag erwacht.


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