Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 72. Sitzung / Seite 166

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Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. (Abg. Dr. Khol: Das sagt ausgerechnet der "Euroteam"-Jarolim! – Abg. Dr. Jarolim: Ein bisschen Wahrhaftigkeit ...! – Abg. Dr. Khol: Ausgerechnet der "Euroteam"-Jarolim sagt etwas zur Wahrhaftigkeit! Da kann ich nur sagen: eigene Nase! – Weitere Zwischenrufe. – Präsident Dr. Fasslabend gibt das Glockenzeichen.)

Am Wort ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. (Abg. Dr. Khol: Er hat darum gebeten!)

19.11

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich möchte mit Ihnen jetzt nicht diskutieren, dass die Sonderschulen gut sind, sondern ich möchte mit Ihnen darüber diskutieren, dass jedes Kind das Recht auf Integration in der Schule, in die es gehen will, haben muss. Dann, Frau Ministerin, wird sich die Frage von Sonderschulen nicht mehr stellen. Diese werden sich dann automatisch auflösen, wenn es tatsächlich einmal ein einklagbares Recht auf Integration für behinderte Kinder, für behinderte Menschen geben wird. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Frau Ministerin! Ich unterstütze Ihre Meinung, dass Tausende SonderschullehrerInnen in den Schulen gute Arbeit leisten, aber glauben Sie mir, Frau Ministerin, diese LehrerInnen könnten in ihrem Beruf genauso gute und wichtige Arbeit in Integrationsklassen leisten. Dafür brauchen wir die Sonderschulen nicht.

Frau Ministerin! Sie sagen immer wieder, Sonderschulen seien so wichtig und so gut. Ich weiß nicht, woher Sie das haben. Ich sage Ihnen das Gegenteil: Ich bin ein "Kind" der Sonderschule, und ich wünsche jedem einzelnen Kind in Österreich, dass es diesen Weg – in einer Käseglocke gefangen zu werden, weg von der Gesellschaft, weg von der so genannten Normalität – niemals erleben muss!

Frau Ministerin! Als ich mit der Sonderschule fertig wurde, habe ich erst leben lernen müssen, denn ich wusste nicht, wie das Leben draußen, außerhalb dieser Sonderanstalt, ausschaut. Zehn Jahre meines Lebens wurden mir genommen, weil ich von der Gesellschaft abgesondert und ausgesondert war, weil ich in einem Sondersystem untergebracht war. Diese zehn Jahre möchte ich niemandem wünschen, Frau Ministerin, und deshalb bitte ich Sie – ich bitte Sie eindringlich! –, dies einmal zu berücksichtigen und es aus der Situation jener Menschen zu sehen – nicht nur aus meiner –, die gezwungen sind und gezwungen waren, in diesem Sondersystem zu sein, nur weil sie ihr Recht auf Bildung eingefordert haben. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Frau Ministerin! Sie haben vorhin so getan, als ob alles in Ordnung wäre, wenn Jugendliche, die körperlich oder sinnesbehindert sind, in eine weiterführende Schule, in die AHS, in eine Berufsschule und so weiter gehen – und teilweise auch rollen – wollen. Frau Ministerin, Sie sind ziemlich weit weg von der Realität, Sie sind ganz weit weg von der Realität! Wissen Sie, dass für jeden Einzelnen, der es heute schaffen will, in die Regelschule zu gehen, in die Handelsschule zu gehen in der Stadt, in der er wohnt, in die HAK zu gehen dort, wo er wohnt, in die Berufsschule zu gehen – oder zu rollen; ich meine es immer für beide –, dies nicht so einfach ist und in der Regel nicht gelingt?

Ein Großteil der behinderten Menschen ist genau an dem Ort, den Sie vorhin erwähnt haben: in dieser Sonderanstalt in der Ungargasse. Dort werden behinderte Kinder aus ganz Österreich zusammengekarrt, weil es in Linz, in Innsbruck oder ganz egal, wo, nicht möglich ist, dass RollstuhlfahrerInnen, Blinde oder gehörlose Menschen dort in die Schule gehen und ihre Ausbildung machen können in der Stadt, in der sie leben. Frau Ministerin, da ist noch einiges zu tun! Es muss zum Selbstverständnis werden, dass auch wir behinderte Menschen dieselben Rechte für uns in Anspruch nehmen können, die Nicht-Behinderte selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Dafür müssen Sie sorgen, Frau Ministerin, und dazu fehlt mir nach wie vor Ihr Bekenntnis! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)


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