Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 72. Sitzung / Seite 172

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Wenn man aufmerksam Schriften und Positionen der Wirtschaft und der Arbeitgeber liest – so ist mir beispielsweise eine schriftliche Unterlage, ein Arbeitgeberkonzept zum Thema "Schule braucht Qualität" in die Hände gefallen, an dem die Industriellenvereinigung führend mitgearbeitet hat (hält die Broschüre in die Höhe)  –, findet man darin unter anderem Formulierungen wie – ich zitiere –:

Die Schulbildung soll auf die Entwicklung ganzheitlicher Persönlichkeiten zielen, die bereit und fähig sind, sich in einer größeren Welt zu bewähren und ihre Staatsbürgerpflichten wahrzunehmen. Die Schulen sollen – heißt es weiter – ebenso die Bedeutung der Grundwerte unserer Gesellschaft vermitteln. – Zitatende.

Wenn man das alles liest, dann stellt man fest: Das ist eigentlich ein Plädoyer für Politische Bildung in der Schule. Sehr verehrte Frau Bundesministerin! Ich frage mich nun, warum diese Unterrichtsinhalte nicht in allen Schultypen und in allen Schulstufen ab der 5. Schulstufe vermittelt werden sollen. Darauf sind Sie uns heute eine Antwort schuldig geblieben. Ist der Grund vielleicht der, dass Sie für eine ausreichende politische Bildung unserer Jugend keine Zeit oder kein Geld zur Verfügung stellen wollen, oder gibt es dafür andere Gründe? Es wäre gut, wenn Sie uns Ihre Intentionen verraten würden.

In den Wiener Berufsschulen zum Beispiel gibt es pro Schuljahr 40 Unterrichtsstunden Politische Bildung, dies aber nicht einmal in jeder Schulstufe, sondern nur in der ersten und in der dritten Klasse. Ich denke, das ist eindeutig zu wenig. Keine Politische Bildung in der zweiten Klasse, keine Politische Bildung in der vierten Klasse der Berufsschulen, nicht einmal eine Stunde! Dies ist so, obwohl wir doch – ich habe das vorhin zitiert – Wertvorstellungen, soziales Zusammenleben, die Mitarbeit der Jugend an der Gesellschaft praktisch vermitteln wollen. Verantwortungsbewusstsein, europäisches Denken und Kreativität fordern Sie in fast jeder Ihrer Reden zu bildungspolitischen Fragen, aber Politische Bildung ab der 5. Schulstufe in allen Schulformen, das verweigern Sie!

Sehr verehrte Damen und Herren! Ich denke, wir Sozialdemokraten treten daher mit Recht dafür ein, Politische Bildung als Unterrichtsgegenstand ab der 5. Schulstufe in allen Schultypen einzuführen. Die Regierungsparteien haben unseren diesbezüglichen Antrag bereits im Unterrichtsausschuss niedergestimmt, und Gleiches ist wohl auch heute im Plenum zu erwarten. Diese Regierung, sehr verehrte Damen und Herren, gestaltet nicht Bildungspolitik, sondern beschränkt sich auf deren Verwaltung, und das auf Kosten unserer Jugend! (Beifall bei der SPÖ.)

19.42

Präsident Dr. Werner Fasslabend: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Wochesländer. – Bitte.

19.42

Abgeordnete Jutta Wochesländer (Freiheitliche): Herr Präsident! Frau Bundesminister! Hohes Haus! Herr Dr. Antoni ist gerade weggegangen. (Widerspruch bei der SPÖ.) Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn bedauere. – Nein, er ist doch da. Ich habe ihn die ganze Zeit über beobachtet: Er hat noch nie zuvor so kontinuierlich zu Boden geblickt. (Abg. Schwarzenberger: Er steht vor den Scherben seiner Politik!) Ich verstehe Sie, ich würde mich an Ihrer Stelle auch genieren. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Ihre Weigerung, meine Damen und Herren von der SPÖ, der Überführung des Schulversuchs an der Polytechnischen Schule in das Regelschulwesen zuzustimmen, finde ich nicht nur empörend, sondern ich halte sie auch für eine unglaubliche Rücksichtslosigkeit gegenüber jenen, für die diese Ausbildung ein weiterer Schritt hin zu einem positiven Leben sein kann. (Beifall bei den Freiheitlichen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Frau Haidlmayr hat sich vorhin an die Frau Bundesminister gewandt und gesagt, sie habe erlebt, was es heiße, separiert in einer Schule zu sein. Ich kann ein bisschen anderes Beispiel bringen: Ich habe 40 Jahre absolut gesunden Lebens hinter mir, und dann habe ich eine schwere Erkrankung gehabt, und Sie wissen – man sieht es ja auch –, dass ich leicht gehbehindert bin. Mit dieser leichten Gehbehinderung fühle ich mich hier unter Ihnen allen, obwohl Sie offen


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