Ich bin allerdings auch der Meinung, dass eine Diskussion über die Zukunft Europas diesmal über technokratische Fragen hinausgehen sollte. Es sollte der Anspruch gestellt werden, Fragen in die Diskussion einzubringen, die die Menschen in Europa tatsächlich betreffen. Herr Bundeskanzler Schüssel hat vorhin gemeint, dass der Vertrag von Nizza eine Vertiefung im Bereich der Außenpolitik, im Bereich der Sicherheitspolitik und im Bereich der internationalen Handelspolitik gebracht habe. Ich möchte diese Ergebnisse keinesfalls abwerten, aber ich würde mir trotzdem mehr Initiative – der Bundesregierung und auch im Rahmen des Nizza-Prozesses – in eine ganz andere Richtung wünschen.
Das heißt ganz konkret Folgendes: Wenn über die Zukunft Europas diskutiert wird, dann muss vor allem auch über die Weiterentwicklung des europäischen Sozialraums debattiert werden und dann muss es selbstverständlich auch darum gehen, eine Beschäftigungsunion gleichwertig neben der Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten. Da möchte ich an die Regierung eindringlich appellieren, dass sie sich dieses Themas annehmen und es auf die Tagesordnung des Post-Nizza-Prozesses stellen möge.
Das heißt: Es wird einen Post-Nizza-Prozess und eine breite Debatte über die Zukunft Europas geben. Das ist gut so, aber ich glaube auch, dass das alleine nicht genügt. Das Problem an einer Debatte ist nämlich im Allgemeinen, dass man sich erstens einmal daran beteiligen muss, wenn man etwas umsetzen will – im Fall der Europäischen Union ist das mit Sicherheit mit sehr viel Aufwand verbunden –, und dass man zweitens auch eine sehr klare Position vertreten muss.
Die SPÖ hat ihre Positionen zu wichtigen Zukunftsfragen der Europäischen Union schon vor ungefähr einem halben Jahr mit dem Pakt für Arbeit und Europa in die Diskussion eingebracht. Die Bundesregierung muss sich im Gegensatz dazu allerdings schon die Frage gefallen lassen, was eigentlich ihr konkreter Beitrag zur Debatte zu den wichtigen Fragen der Zukunft der Europäischen Union ist. Was fast noch wichtiger ist, ist, dass sich die Regierung die Frage gefallen lassen muss, was ihr Beitrag bisher zur Vorbereitung des eigenen Landes, zur Vorbereitung Österreichs auf die EU-Erweiterung ist.
Derzeit ist wohl der einzige über die Grenzen hinaus erkennbare Diskussionsbeitrag, den die österreichische Bundesregierung zur Zukunft Europas beisteuert, die Frage, ob die Vetokarte auf den Tisch gelegt werden soll oder noch im Ärmel bleiben soll. Das ist eine meiner Meinung nach wirklich ziemlich erbärmliche Situation, in die uns diese Regierung in der Europapolitik gebracht hat. (Beifall bei der SPÖ.)
Die österreichische Bevölkerung hat sich mit großer Mehrheit für einen Beitritt zur Europäischen Union ausgesprochen. Eines unserer wichtigsten Argumente für den EU-Beitritt war immer, dass es für ein kleines Land ganz besonders wichtig ist, ein Mitspracherecht auf der europäischen Ebene zu haben. Leider ist es aber jetzt so, dass sich die österreichische Regierung von ihrem Gestaltungswillen auf der europäischen Ebene fast vollständig verabschiedet hat. Sie hat sich zum Beispiel zu den großen Zukunftsthemen Europas bisher nicht positioniert. Sie hat beispielsweise im Vorfeld des Europäischen Rates von Nizza auch keine eigenen Vorstellungen präsentiert, sondern sich eigentlich erst wirklich in letzter Sekunde in die Verhandlungen eingeschaltet. Die öffentliche Diskussion über die Zukunft Europas beschränkt sich in Österreich derzeit auf die Frage: Veto zur Osterweiterung der EU: ja oder nein?
Das heißt, mangelndes politisches Engagement und Durchsetzungsvermögen in der Europapolitik werden mittlerweile allen Ernstes mittels Vetodrohungen ausgeglichen. (Beifall bei der SPÖ.)
Die ÖVP – gerade die ÖVP! – hat sich immer voll Stolz als Europapartei verstanden, und ich glaube, dass es mittlerweile wirklich höchst an der Zeit wäre, dass zumindest die ÖVP wieder zu einer konstruktiven und vernünftigen Europapolitik zurückfände. (Beifall bei der SPÖ.)
19.07
Präsident Dr. Werner Fasslabend:
Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Silhavy. – Bitte.