Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 84. Sitzung / Seite 83

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Aber was ich insbesondere richtig und wichtig finde und was man hervorheben sollte und worauf sich der Herr Finanzminister zu meinem Erstaunen bis jetzt so gut wie nie berufen hat, ist, dass sich das so genannte strukturelle Defizit – oder im Jargon der EU-Kommission: das "cyclically adjusted net borrowing" – des öffentlichen Sektors in den Jahren 2000, 2001, 2002 deutlich gebessert hat. Das ist meines Erachtens das eigentlich Entscheidende!

In einer guten Konjunkturlage ein niedrigeres Defizit zu fahren, das ist erstens keine Kunst, und zweitens soll es ja auch so sein. Aber worauf es ankommt, ... (Abg. Böhacker: Das war aber nicht immer so!) – Das war nicht immer so, völlig richtig! – Aber worauf es ankommt, ist, wie sich das strukturelle Budgetdefizit verändert, das heißt jenes Defizit, in dem die aktuelle Konjunkturlage so gut wie möglich unberücksichtigt bleibt. Gleichgültig, ob wir uns in einer Rezession oder in einer Hochkonjunktur befinden, darüber sagt das so genannte strukturelle Budgetdefizit aus, das heißt jenes Defizit, das von den aktuellen Konjunkturdaten bereinigt ist.

Wenn man sich die Differenz zwischen dem strukturellen und dem so genannten aktuellen Budgetdefizit anschaut, dann sieht man ganz deutlich die Verbesserung des Saldos: im Jahr 2000 noch 0,8 Prozentpunkte des BIP zu Ungunsten des strukturellen Budgetdefizits, im Jahr 2001 nur noch 0,1 Prozentpunkte des BIP Differenz, und im Jahr 2002 – zugegeben, das sind vorläufige Daten – ist das strukturelle Budgetdefizit bedeutend niedriger als das aktuelle. Das heißt, wir haben einen deutlichen Überschuss im strukturellen Saldo im Gegensatz zum voraussichtlichen aktuellen Budgetdefizit.

Auf das Jahr 2003 gehe ich gar nicht ein. Darüber finden Sie Daten im Bericht der EU-Kommission von heute beziehungsweise von gestern, aber das ist ohnehin Kaffeesudlesen.

Im Übrigen: Die Zahlen im Bericht des Internationalen Währungsfonds vom Oktober, im "World Economic Outlook", über das strukturelle Defizit sind naturgemäß andere – da ging man noch von einer etwas besseren Konjunkturlage aus –, aber der Trend ist der Gleiche.

So viel zum Positiven. (Abg. Mag. Trattner: War eh sehr viel!)

Es gibt auch Negatives. Wir haben in unserem Land die höchste Abgabenquote in der Geschichte Österreichs, und ihr Abstand zu jener im Euro-Raum hat sich gegenüber 2000 erhöht. Aber vor allem hinsichtlich der Arbeitsmarktlage und der Arbeitsmarktpolitik enthält der Bericht der EU-Kommission Anmerkungen – nicht im Österreich-Teil, sondern weiter vorne –, die äußerst bedenklich sind: Österreich – Herr Kollege Trattner, hören Sie zu! (Abg. Mag. Trattner: Ich höre immer zu!), danke! – ist europäisches Schlusslicht bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze, im Jargon der EU: bei der Job-Creation. Schlusslicht!

Österreich ist andererseits 2001/2002 Spitzenreiter beim Nettoverlust von Arbeitsplätzen. Das hängt nicht unmittelbar mit der Budgetpolitik zusammen – ich will das überhaupt nicht unterstellen –, sondern in anderen Bereichen der Politik gibt es hier offensichtlich – unter Anführungszeichen – "Defizite". Sonst kann es nicht sein, dass wir bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze Schlusslicht sind, hingegen Spitzenreiter beim Nettoverlust von Arbeitsplätzen. (Abg. Großruck: Weil wir Vollbeschäftigung haben! – Abg. Böhacker: Wir haben auch 30 000 neue Unternehmen!) Ja, ja, aber das wirkt sich kaum auf die Beschäftigung aus, jedenfalls nicht im Vergleich mit den anderen EU-14.

Die Kernfrage, mit der wir uns alle beschäftigen und auf die Kollege Edlinger natürlich mit Recht hingewiesen hat, zumindest indirekt hingewiesen hat, ist: Die Budgets 2001/2002 wurden entworfen in einer Zeit, in der die Konjunkturlage völlig anders eingeschätzt wurde als heute. Daraus ergibt sich natürlich die Frage: Was tun jetzt?

Gleichgültig, ob Sie die nominellen oder die realen Daten anschauen: Die Verhältnisse haben sich deutlich geändert. Das ist auch unabhängig davon, wie wir "Rezession" definieren. Ich weiß schon, dass es darüber unterschiedliche Anschauungen gibt. (Abg. Böhacker: Drei Experten – vier Meinungen!) Ich persönlich habe immer gemeint, es sei richtig, von einer Rezession zu sprechen, wenn die Kapazitäten verglichen mit der Situation vorher nicht ausgelastet sind, wenn die Arbeitsproduktivität stärker steigt als das Wirtschaftswachstum, sodass die Arbeitslosigkeit


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