Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 84. Sitzung / Seite 206

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

Präsident Dr. Heinz Fischer: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Haidlmayr. – Bitte.

21.20

Abgeordnete Theresia Haidlmayr (Grüne): Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Ankündigungen von den Regierungsparteien, dass es ihnen nur um das Wohl des Kindes gehe und das Wohl des Kindes im Mittelpunkt stehe – ich sage Ihnen etwas: Das glaubt Ihnen wirklich kein Mensch! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Widerspruch bei der ÖVP.)

Regen Sie sich bitte nicht auf, ich werde Ihnen das gleich vorführen, warum das nicht stimmt. Wenn es Ihnen um das Wohl des Kindes ginge, dann müsste das völlig anders aussehen. (Abg. Steibl: Das ist vielleicht Ihre Meinung!) Dann müssten Sie nämlich einmal folgenden Denkansatz probieren: Was möchte das Kind? Nicht nur, was will der Lehrer, was wollen die Eltern, sondern auch was will das Kind? Und vor allem auch: Was möchte unter Umständen ein behindertes Kind? – Sie aber, Frau Ministerin, sagen, dieses Prognoseverfahren sei deshalb so wichtig, weil man praktisch dem Zehnjährigen schon vorgeben könne, was er später einmal wird. Kein Zehnjähriger weiß, was er werden wird; das wissen oft nicht einmal 50-Jährige. Bitte verlangen Sie das nicht von einem Zehnjährigen! (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Frau Ministerin! Wenn Sie dieses Prognoseverfahren machen wollen, nur zum Wohle des Kindes, wie Sie sagen, dann hat doch bitte kein einziges behindertes Kind mehr die Chance, dass es in die AHS-Unterstufe gehen kann. Wenn eine Mehrfachbehinderung vorliegt, dann ist völlig klar, dass das Prognoseverfahren natürlich gegen das Kind und nicht im Interesse des Kindes ausgehen wird. (Abg. Dr. Brinek: Wieso wissen Sie das?) Das wissen Sie ganz genau!

Sie, Frau Ministerin, haben es vielleicht vergessen, aber ich habe noch sehr gut das Bild von Anja in Reutte vor mir. Was wollte Anja denn? – Anja wollte in diese bestimmte Schule gehen, und Sie sagen, Sie hätten im Interesse des Kindes gehandelt, als Sie Anja ganz einfach nicht zur Schule zugelassen haben. Frau Ministerin! Da sind Sie sehr unglaubwürdig. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ. – Abg. Steibl: Das andere ist auch unglaubwürdig!)

Herr Amon und alle jene, die jetzt für das Wohl des Kindes geredet haben! Erklären Sie mir bitte, wie ein solches Prognoseverfahren für ein behindertes Kind ausgehen kann. Hat es überhaupt noch die Chance, in die AHS zu gehen, in die Unterstufe und in die Oberstufe? – Natürlich nicht! Sie haben doch jetzt schon das Tor verschlossen, dass Kinder mit Behinderung in die AHS-Oberstufe gehen können. Und mit dem Prognoseverfahren wollen Sie nichts anderes schaffen, als dass Sie die Auslese noch viel, viel früher und viel brutaler durchziehen, als es jetzt teilweise ohnehin schon der Fall ist. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ. – Abg. Steibl: "Brutal", was heißt "brutal"?)

Herr Amon! Wenn Sie so schimpfen, dass die Hauptschulen so schlecht seien – natürlich, das steht ja auch bei Ihnen im Antrag –, dann machen Sie doch bitte etwas für die Hauptschulen, machen Sie die Hauptschulen besser! Ich sage Ihnen – Sie werden es vielleicht auch wissen –, dass es bei den Hauptschulen Schultypen wie die so genannten Computerhauptschulen gibt. (Ruf bei der SPÖ: Sporthauptschulen!) Als Beispiel! Diese hätten den dreifachen Andrang an Kindern, können sie aber nicht nehmen. Das heißt, Sie müssen etwas für die Hauptschulen tun, damit die Attraktivität der Hauptschulen gesteigert wird, aber nicht indem Sie Kindern von Haus aus verwehren, die Chance zu bekommen, in die AHS zu gehen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)

Nur dann, wenn Sie die Schule attraktivieren, die Ihres Erachtens so schlecht liegt, haben Kinder unter Umständen auch die Chance, zwischen AHS und Hauptschule zu wählen. Sie haben gesagt, gerade im ländlichen Bereich seien die Hauptschulen viel besser und deshalb gingen die Kinder auch hin. Wo Sie leben, das möchte ich jetzt nicht abfragen, denn Sie wissen ganz genau, dass gerade die Kinder, die im ländlichen Raum in die Hauptschule gehen, deshalb dort in die Hauptschule gehen, weil einfach der Weg in die AHS in der nächstgelegenen Stadt zu weit ist. (Abg. Großruck: So ein Blödsinn!) Deshalb bleiben sie im Ort, und deshalb besuchen sie die Hauptschule, aber nicht, weil sie nicht die Fähigkeiten hätten, in die AHS zu gehen.


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite