Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 87. Sitzung / Seite 46

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ergreifen, wenn Sie nicht einmal in der Lage oder jedenfalls nicht willens sind, die Situation einzubekennen? – Sie haben Ihre Glaubwürdigkeit fast schon verspielt. (Beifall bei den Grünen.)

Das ist nicht nur eine Frage der Glaubwürdigkeit. Diesen Verzögerungseffekt des Wahrnehmenwollens oder -könnens der Situation ist ja in der Folge unmittelbar schädlich für etwaige konjunkturpolitische Maßnahmen. Das, was Sie jetzt vorschlagen und was wir teilweise sogar begrüßen können – darauf werde ich noch zurückkommen –, wirkt ja auf Grund Ihrer anhaltenden Verweigerungshaltung – heute haben Sie diesbezüglich das erste Mal ein bisschen "aufgemacht" – tendenziell zu spät.

Es ist ja das Wesen von kurzfristigen Konjunkturschwankungen, dass sie in absehbarer Zeit wieder vorbeigehen. Das heißt, die Maßnahmen, die Sie setzen und die Sie gegen das Konjunkturtal treffen wollen, müssen so rechtzeitig erfolgen, dass sie dann noch wirken, wenn wir in der Abschwungphase sind.

Das, was Sie uns einbrocken, ist: zunächst verweigern, nicht hinschauen, schönreden, die Dinge teilweise eingestehen, ein paar Maßnahmen setzen – im größeren Stil Pseudomaßnahmen –, aber die wenigen guten Maßnahmen, die Sie vorschlagen, laufen Gefahr, zu spät zu wirken. Auch das haben Sie mit Ihrer ständigen Verweigerungshaltung zu verantworten! (Beifall bei den Grünen.)

Wir können das auch guten Gewissens belegen – da bin ich mit meinem Vorredner Gusenbauer völlig einer Meinung –: Es war die Opposition, die schon länger darauf hingewiesen hat, wie sich die Weltwirtschaft entwickeln wird, und zwar in einer dramatischen Situation, als nämlich gleichzeitig die USA, Japan ohnehin und – das war schon vor dem Sommer erkennbar – der Euro-Raum in eine Krise steuerten. Sie haben sich jedoch bis zum heutigen Tag beziehungsweise bis zum ersten Ihrer so genannten Konjunkturgipfel bemüht, die Sache anhaltend schönzureden. Und das war das Problem, das ich beschrieben habe. Hätten Sie rechtzeitig reagiert, dann stünden wir in wenigen Monaten vielleicht schon anders da. (Abg. Murauer: Aber schlechter!)  – Warten Sie ab, Herr Kollege! Lehnen Sie sich da nicht so weit hinaus! Das ist gerade Ihnen noch nie gut bekommen. (Beifall bei den Grünen.)

Nun komme ich zu dem Beleg, den ich Ihnen versprochen habe. Auf diesem Cover des renommierten Wirtschaftsblattes "The Economist" (der Redner hält eine Ausgabe dieser Zeitschrift in die Höhe), das nun wirklich nicht in Verruf steht, irgendein global linkslinkes Zentralorgan zu sein, sondern doch viel eher ein durchaus wirtschaftsliberales Magazin genannt werden darf, schrieb man bereits im Sommer von Rezession. – Das dritte Mal präsentieren wir Ihnen dies hier, weil wir ja ständig von Ihnen damit konfrontiert werden, das ohnehin alles paletti gewesen sei. Das ist meines Erachtens sehr wohl ein Hinweis darauf, dass Sie, aus welchen Motiven auch immer, anhaltend Realitätsverweigerung betrieben haben. (Beifall bei den Grünen.)

Nicht genug damit, Herr Bundeskanzler, haben Sie sich in dieser Verweigerungsliturgie, die ständig zelebriert wurde, noch zum Vorbeter aufgeschwungen und ständig gesagt: Es gibt keine Krise! – Wehe, es sagt jemand "Rezession"! Das ist momentan ganz gefährlich. Es spielen sich schon biedermeierliche Abhör- und Verfolgungsmethoden innerhalb der Wirtschaftsszene ab und es wird gelauscht, ob irgendjemand das unmögliche R-Wort in den Mund nimmt, "Rezession" darf nicht gesagt werden. Sie flüchten sich in irgendwelche wirtschaftswissenschaftliche Definitionsstreitereien, die in der Praxis wirklich niemandem etwas bringen.

Das dient ja nur dazu – und damit bin ich beim nächsten Punkt –, Ihren Unwillen, etwas tun, zu dokumentieren. Ich bin mir nicht einmal so sicher, ob das, was da getan oder vielmehr nicht getan wird, Ausdruck bloßer Ratlosigkeit ist, ich habe viel eher den Verdacht, dass dahinter auch ein guter Schuss Ideologie steckt, weil diese Wenderegierung – das haben wir ja anfangs erlebt – mit ihrer manischen Staatsphobie geradezu dazu prädestiniert ist, keine Maßnahmen mehr setzen zu wollen. Wir hören es dauernd: Der Staat ist schlecht, die öffentliche Hand darf nichts ausgeben, es dürfen keine neuen Schulden mehr gemacht werden. – Auf diesen Marketingslogan werde ich noch zurückkommen.


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