Ich möchte aber dazu doch drei Bemerkungen machen. Erstens möchte ich unterstreichen, was meine Kollegin Kuntzl bereits gesagt hat: Ihre Bildungspolitik ist keinesfalls Ursache für dieses gute Ergebnis, denn Sie waren gerade einmal zwei, drei Monate im Amt, als im Mai 2000 die Datenerhebungen vorgenommen wurden.
Zweite Bemerkung: Die Rahmenbedingungen für die Zeit vor dieser Regierung wurden von sozialdemokratischen Bundeskanzlern und sozialdemokratischen Finanzministern gestaltet, und damals gab es mehr Förderunterricht, mehr Freigegenstände, mehr Nachmittagsbetreuung, mehr unverbindliche Übungen, kleinere Gruppen- und Klassengrößen. Es ist daher verständlich, dass das Ergebnis nicht so schlecht ausgefallen ist.
Kritisch festhalten will ich, dass Sie, meine Damen und Herren, ausschließlich die obere Spitze dieser sechsteiligen Skala diskutieren und den unteren Bereich selektiv ausgrenzen. Sie können doch nicht so tun – und da gebe ich ebenfalls dem Kollegen Schender Recht –, als ob in Österreich alles in Ordnung wäre und kein Handlungsbedarf bestünde. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass 4 Prozent der SchülerInnen – 4 000 – des Jahrganges 1984 durch Lesen keinerlei selbstständiges Wissen erwerben können! Nehmen Sie zur Kenntnis, dass 10 Prozent, also 10 000 Schüler dieses Jahrganges, nur über einfachste Lesefertigkeiten verfügen, und grenzen Sie bitte nicht jene 7 Prozent des Jahrganges 1984 aus, die bereits nach der Hauptschule die Schule verlassen haben und in dieser Studie daher gar nicht mehr berücksichtigt werden konnten!
Das heißt im Klartext, meine Damen und Herren, wir haben eine Risikogruppe von knapp 20 Prozent von SchülerInnen, die nicht in der Lage sind, durch selbstständiges Lesen selbstständig weiter zu lernen, und schon gar nicht in der Lage sein werden, am europäischen Konzept des lebensbegleitenden Lernens selbstständig teilzunehmen. Ich orte gerade hier, für diese 20 Prozent, einen enormen und vordringlichen Handlungsbedarf, denn das heißt ja im Klartext, dass nahezu jeder fünfte Schüler beim Lesen Probleme hat.
Ihre Antwort, Frau Bundesminister, auf die PISA-Studie lautet: mehr Tests; einen Lesetest in der dritten Klasse Volksschule, einen Lesetest in der vierten Klasse. Durch Tests, meine Damen und Herren, werden die Schülerinnen und Schüler nicht besser lesen lernen. Wenn man richtig ansetzen will, dann muss man einen Schwerpunkt setzen, der so aussieht, dass man im Sinne der Schulpartnerschaft intensiv auch mit Eltern darüber diskutiert, was in der frühkindlichen Erziehung wichtig ist, um das Lesen vorzubereiten, dass man auch den Kontakt mit den Kindergärten sucht, die ja der Schule vorgelagert sind, um dort Lesemotivation zu erzeugen beziehungsweise Leseerziehung zu leisten.
Und schließlich müsste man doch auch hinterfragen: Wird an unseren Schulen die richtige Lesedidaktik angewendet? Wird vor allem sichergestellt, dass nach der Vermittlung der technischen Fähigkeit des Lesens auch das sinnverstehende Lesen entwickelt und weiter ausgebaut wird?
Lassen Sie mich noch eine kritische Anmerkung zur Studie selbst machen. Wir vermissen, dass außer den kognitiven Leistungen wie Lesen, Mathematik und so weiter keinerlei Fähigkeiten und Fertigkeiten im sozialen, im kreativen und im emanzipatorischen Bereich angesprochen und untersucht wurden. Und das Allerwichtigste, um am lebensbegleitenden Lernen wirklich teilnehmen zu können – die Fähigkeit zu selbstständigem, eigenverantwortlichem Lernen –, wurde auch nicht untersucht.
Lassen Sie mich, zum Schluss kommend, auf die Frage des Kollegen Schender eine Antwort geben. Kollege Schender hat gefragt: Was hat Finnland, was Österreich nicht hat und was sich so vorteilhaft auf die Schülerinnen und Schüler auswirkt? – Uns fällt da schon eine Antwort ein: Finnland hat einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten: Lipponen – und nicht Wolfgang Schüssel! (Beifall bei der SPÖ.)
9.50
Präsident Dr. Heinz Fischer:
Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Brinek. – Bitte.