Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 94. Sitzung / Seite 82

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Aber wenn er hier von moderner, gut gelebter Partnerschaft spricht, dann muss ich sagen: Also bitte, das, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, dieser Streit, dieses Desaster, dieses Chaos, keine Regierungsarbeit, mehrere Regierungen in der Regierung – eine unfassbare Situation, in der andere Regierungen in anderen Ländern schon längst zurückgetreten wären, und dann haben Sie noch die Stirne, hier zu sagen, dass es der zehnte Misstrauensantrag ist.

Ich würde Ihnen Folgendes empfehlen: Zählen Sie einmal die Scheidungsdrohungen, die Jörg Haider ausgestoßen hat und die aus der FPÖ gekommen sind, nach! Es sind weit mehr Scheidungsdrohungen gekommen, als wir hier überhaupt an Neuwahlanträgen und Misstrauensanträgen haben einbringen können! Das ist die Wahrheit, vor der Sie stehen! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen. – Abg. Mag. Schweitzer: Josef, mach einen Vorschlag! – Abg. Parnigoni: Der Reichhold hört überhaupt nicht zu! Er geht hier herum wie in einem Kaufhaus!)

In Wirklichkeit mag es schon so sein, dass Sie vorher eine Supervision in einem Extraraum des Parlamentes hatten, wo Sie gesagt haben: Heute müssen wir uns herzen, heute müssen wir uns küssen, heute müssen wir kuscheln, heute müssen wir so dastehen, wie wenn wir eine funktionierende Beziehung hätten. Es mag ja sein, dass die Werbeagentur Ihnen das vorge-schrieben hat. Aber toll finde ich, dass Sie den Mut haben, sich herzustellen und zu sagen: Vertrauen muss bei der Bevölkerung erarbeitet werden!, und ununterbrochen das Wort "Vertrauen" hier zu verwenden.

Das heißt, dass Sie anscheinend zu Recht eine Untersuchung gemacht haben, wo herausgekommen ist, dass die Bevölkerung natürlich kein Vertrauen hat. Das Einzige, wo man Ihnen vertrauen kann, ist, dass es Sozialabbau, negative Umverteilung und einen ganz, ganz problematischen Umgang mit den Einrichtungen der Demokratie gibt. Und das ist die Wahrheit, vor der wir stehen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Daher verstehe ich auch, wenn jetzt die ÖVP eine Werbekampagne macht. Deswegen sage ich ja, hier hat nur eine Werbeagentur Regie geführt: reine Werbemeldungen und das Wort "Vertrauen" vom Bundeskanzler x-mal verwendet. Man hat es anscheinend notwendig, über Inserate den Österreichern zu erklären (der Redner hält ein Schriftstück in die Höhe), dass es Verantwortung für Österreich in dieser Regierung gäbe, weil die Mehrheit der Österreicher der Meinung ist, es gibt natürlich keine Verantwortung in dieser Regierung für Österreich. Besser wäre, es würde hier stehen: Kaufen Sie von dieser Regierung, von diesem Bundeskanzler keinen Gebrauchtwagen, denn es ist nicht sicher, ob der überhaupt fahren wird! Es ist nicht sicher, ob er sich in Wirklichkeit noch zehn Meter bewegen kann! – Das ist die Wahrheit, vor der wir stehen, und das müssen Sie heute hier auch verantworten. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Wochesländer: Peinlich!)

Schauen Sie, das Demokratieproblem charakterisiert sich auch ganz deutlich im Umgang mit der Opposition. Während hier ein Oppositionsredner spricht, sitzen Sie auf der Regierungsbank, wo Sie gleich die Tagesarbeit erledigen, hören nicht zu, tratschen, also der Diskurs hier im Parlament interessiert Sie nicht. Das ist die Art und Weise, wie Sie hier mit der Opposition umgehen.

Das soll aber der Fernsehzuschauer auch sehen. Der soll genau hier betrachten, dass Sie in Wirklichkeit selbstherrlich, arrogant sind, dass Sie die Argumentation der Andersdenkenden nicht interessiert! – Das ist in Wahrheit Ihr politisches Selbstverständnis. Diese Regierung verdient daher wahrlich kein Vertrauen, auch nicht in ihrem Demokratieverständnis, so wie Sie es heute hier in Wirklichkeit darstellen. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

Ein Allerletztes. Der Herr Bundeskanzler hat die Österreicherinnen und Österreicher flehentlich ersucht: Gebt uns doch endlich eine zweite Chance! Also dazu kann ich nur sagen: Österreich ist kein Experimentierfeld, auch kein Roulettespiel oder Sonstiges. Österreich hat sich da etwas anderes verdient. Aber wichtiger ist, dass Sie zugegeben haben, dass in Wirklichkeit die ersten zwei Jahre für Österreich verlorene Jahre waren, und aus diesem Schuldbewusstsein haben


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