Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 106

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An der Erarbeitung einer europäischen Verfassung ist auch das Hohe Haus, ist der Nationalrat beteiligt, der zusammen mit dem Bundesrat für Österreich das letzte Wort zu einer zukünftigen europäischen Verfassung zu sprechen hat.

Mit unseren insgesamt acht Mitgliedern beziehungsweise stellvertretenden Mitgliedern des Konvents, die heute in Brüssel zusammentreten, hatten wir am 21. Februar unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Dr. Schüssel und Vizekanzlerin Dr. Riess-Passer eine ausführliche Aussprache über die Ziele einer europäischen Verfassung; alle Parlamentsfraktionen waren daran beteiligt.

Mit der Bundesregierung sollten wir heute den Dialog darüber aufnehmen, damit das Hohe Haus, das über die europäische Verfassung zu entscheiden haben wird, und die Bundesregierung, die uns einen entsprechenden Vertrag wird vorlegen müssen, am gleichen Strang ziehen.

Damit dieser für die österreichische Zukunft so wichtige Prozess, der nicht länger als ein Jahr dauern wird, um eine europäische Verfassung zu erarbeiten, rechtzeitig beginnen kann, haben Karl Schweitzer und ich heute diese Dringliche Anfrage gestellt: an einem Tag also, an dem in ganz Europa die Frage diskutiert wird, wie die Europäische Union in Zukunft aussehen soll.

Europa braucht eine Verfassung – das haben wir ja in unserer Dringlichen Anfrage dargelegt –, aber: Wie soll diese aussehen? (Abg. Mag. Prammer: Ach, das wollen Sie heute beantwortet haben?!)

Wir wollen heute, Frau Prammer, die Debatte darüber aufnehmen, welche Vorstellungen unser Partner, die Bundesregierung, die da, auf eine Vier-Parteien-Entschließung gestützt, arbeitet, in der Konferenz der Staats- und Regierungschefs, in den europäischen Räten, in den Regierungskonferenzen vorgehen wird.

Aus einer Froschperspektive heraus mag so manche andere Frage viel dringlicher erscheinen – für uns jedoch, für die beiden antragstellenden Fraktionen, stellt, und zwar im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, die Frage der Zukunft Europas und seiner Verfassung eine wesentliche Frage dar. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Hat Europa nicht schon eine Verfassung? – Ja, es gibt eine große Zahl an Verträgen; diese sind jedoch so unübersichtlich, dass es selbst für Juristen mit Lehrbefugnis schwierig ist, den jeweiligen Rechtsstand aus diesen Dokumenten herauszufinden.

"Einem Ungeheuer gleich" – "monstro simile, irregulare aliquod corpus" – hat einmal Samuel Pufendorf das Heilige Römische Reich bezeichnet, das auch keine geschriebene Verfassung hatte. – Samuel Pufendorf, 17. Jahrhundert! (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Mit Europa ist es heute gleich: Man kann die Verfassungsgrundlage nicht wirklich erschließen. Diese Unzulänglichkeit ist sehr deutlich geworden beim Vertrag von Nizza, wo Tage hindurch in einer Regierungskonferenz um eine Neuordnung der europäischen Verträge gerungen wurde, es keine Transparenz gab und wo zum Schluss so wichtige Fragen entschieden wurden wie, ob jedes Land in jeder europäischen Institution vertreten sein wird, mit welchen Stimmgewichten die einzelnen Länder in den Institutionen vertreten sein werden, wie viel Mitglieder Österreich beispielsweise im Europäischen Parlament haben wird. – Das hat einen Prozess der Frustration ausgelöst, und hinterher haben sich sehr viele Parlamentarier die Frage gestellt: Was ist das für ein Europa, in dem die Grundverfassung hinter verschlossenen Türen zwischen den Staats- und Regierungschefs vereinbart wird, in dem die Parlamente nicht eingeschaltet sind und wo in der Vorarbeit keine transparenten Arbeiten geleistet werden?! – Das wollen wir anders haben!

Es war das Hohe Haus hier, das mit einem Vier-Parteien-Antrag das Anliegen artikuliert und weitergetragen hat: Wir wollen dabei mitreden! Und wir wollen einen Konvent haben – eine Art "Generalstaaten Europas", eine Art "Paulskirchen-Versammlung" wie in der Frankfurter Reichsversammlung im Jahre 1848 –, in dem Vertreter aus allen Ländern Europas, aus allen Parlamenten, in dem die Sozialpartner zusammenkommen, um in transparenter Weise diese


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