Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 112

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

überhaupt, dass der Allgemeine Rat seine eigentliche Steuerungsfunktion verstärkt wahrnehmen können sollte.

Die dritte Frage betrifft die zukünftige Rolle des Rates. Ich glaube, dass wir genau unterscheiden sollen: Was ist legislativ? Was ist exekutiv? Was ist Gemeinschaftsrecht? Was ist intergouvernemental? Man soll auch die Frage aufwerfen: Wo ist Einstimmigkeit und wo ist Mehrstimmigkeit notwendig? Ich sage hier ganz offen: Wir haben großes Interesse daran, dass die Rolle der Kommission nicht unterminiert wird! Sie muss stark bleiben!

Gerade die großen Länder wollen oft der Kommission so manchen Stolperstein in den Weg legen, regen sich über Entscheidungen auf, versuchen Druck zu machen. Ich glaube, wir, die kleineren und mittleren Länder, haben jedes Recht und auch jede Klugheit, dass wir die Kommission in jeder Phase voll und ganz unterstützen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Weil dies so ist, meine Damen und Herren, will ich mich auch an dieser Stelle massiv gegen Johannes Voggenhuber wenden, der in einer unglaublichen Wortmeldung erklärt hat, das "schwarze Loch der Demokratie" in Europa seien die nationalen Regierungen.

Das Demokratiedefizit hat einen Namen, das ist der Rat. Ja bitte, darf ich ganz offen sagen: Ist der Rat, sind die Vertreter in Österreich nicht vollinhaltlich im Dialog mit den nationalen Parlamenten? Glaubt irgendjemand, dass dann, wenn die Entscheidungen nur mehr in der Kommission fallen würden, ohne dass der Rat legislativ und kontrollierend tätig würde, das Europäische Parlament jene Qualität ersetzen könnte, die wir in der innerösterreichischen Diskussion haben oder die Dänemark oder Deutschland, wo es gut ausgebaute Rechte der nationalen Parlamente gibt, hat?

Ich bekenne mich zu einem Miteinander, wo das Parlament auf europäischer Ebene gestärkt wird, wo der Rat nicht geschwächt wird, sondern sich als Partner einbringt und wo die Kommission eine starke europäische Rolle spielt. Wenn wir das tun, dann sind wir gut beraten! (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

Die vierte Frage ist eine ganz wichtige, nämlich die Frage nach der Kompetenzordnung. – "Kompetenz-Kompetenz", das klingt kompliziert, die Wahrheit ist, dass in den letzten Jahren, gestützt auf einige Artikel, vor allem auf den Artikel 308 des Europäischen Vertrages, sich die Praxis herauskristallisiert hat, immer mehr, abseits vom heutigen Gemeinschaftsrecht, zu zentralisieren. Dazu kommen eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und die offene Methode der Koordinierung, nämlich so genannte soft laws, sanfte Rechtsregelungen, die systematisch zu einer Aushöhlung der nationalen Souveränitäten führen. Das mag im Einzelfall durchaus in Ordnung sein. Nur: Das ist nicht immer und nicht generell gut.

Es ist völlig richtig, dass man in einem bestimmten Fall, in welchem man eine gemeinsame Aktion der Europäischen Union braucht, auch handeln muss, aber wir wollen nicht quasi ein Einfallstor, wo man, wann immer es gefällt, praktisch alles tun kann, auch wenn es eigentlich nicht um Gemeinschaftsrecht geht.

Professor Griller hat herausgefunden, dass seit dem In-Kraft-Treten des Amsterdam-Vertrages – der ist seit nicht einmal fünf Monaten in Kraft – sage und schreibe 121 konkrete Maßnahmen getroffen worden, die nicht auf dem Gemeinschaftsrecht basieren, sondern unter Inanspruchnahme des Artikels 308 gesetzt worden sind.

Deswegen ist, glaube ich, der Vorschlag der Weidenfeld-Gruppe oder der Vorschlag vom Ministerpräsidenten Clement oder das Grundsatzpapier von Schäuble und Bocklet, dass man hier zu einer klaren Kompetenzabgrenzung in drei Blöcken – exklusives Gemeinschaftsrecht, gemischtes Recht und exklusive nationale Zuständigkeit – kommen soll, so bedeutsam, denn anders herum wird es immer mehr, wie auf einer schiefen Ebene, in Richtung Aushöhlung der nationalen Kompetenzen und Souveränitäten gehen, und das halte ich nicht für richtig. Das ist auch nicht im Interesse der Europäischen Idee, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite