Nationalrat, XXI.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 130

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ist. Eine nachvollziehbare Abgrenzung von Kompetenzen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist daher zentrale Aufgabe dieses Reformprozesses und der Schlüssel zu seinem Erfolg. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Notwendig ist aber auch eine Neuordnung der Institutionen und ihrer Verfahrensweisen. Bislang entwickelte sich der europäische Einigungsprozess oft nach dem Prinzip von Integration wo immer nur möglich. Diese Methode ist an ihre Grenze gestoßen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem das Verhältnis von Einheit und Vielfalt durch eine neue Verteilung der Aufgaben geordnet werden muss. In einer Union mit 27 und mehr Mitgliedstaaten, die langfristig absehbar ist, werden die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Unterschiede erheblich größer sein als im Bereich der ursprünglichen sechs Gründungsmitglieder. Zentrale Entscheidungen werden in zahlreichen Handlungsfeldern der wachsenden Vielfalt nur sehr begrenzt gerecht werden können.

Die Union muss sich daher auf europäische Kernaufgaben konzentrieren und ihre Handlungsfähigkeit sichern. Im Vertrag sollte auch klargestellt werden, dass das Prinzip der Unionstreue nicht nur zugunsten der Europäischen Union, sondern auch umgekehrt zugunsten der Mitgliedstaaten gilt und die Europäische Union bei der Ausübung ihrer Zuständigkeiten zu einem schonenden Vorgehen verpflichtet ist. Sie soll dabei neben der nationalen auch die regionale Identität ihrer Mitglieder achten.

Alle grundsätzlichen Regelungen, insbesondere jene zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten, zur Finanzverfassung, zu den Institutionen der Europäischen Union und ihren Verfahrensweisen, sollen mit der Grundrechtscharta in einem Verfassungsvertrag zusammengefasst werden. In einer Präambel sollen Grundlage, Ziele und Wertvorstellungen des europäischen Einigungswerkes formuliert werden.

Lassen Sie mich noch einen einzelnen Politikbereich herausgreifen: die Asyl-, Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik. Der Wegfall der Binnengrenzen innerhalb der Europäischen Union macht ein gemeinschaftliches Vorgehen in bestimmten Bereichen der Asyl-, Visa- und Flüchtlingspolitik sowie der Zuwanderungspolitik unverzichtbar. Asylwerber, Flüchtlinge und für einen begrenzten Zeitraum einreisende Drittstaatenangehörige sollten in allen Mitgliedstaaten die gleichen Bedingungen für die Aufnahme, den Verbleib und die Beendigung des Aufenthalts vorfinden.

Eine einheitliche Rückführungspraxis für illegale Einwanderer und sich illegal im EU-Gebiet aufhaltende Personen hilft, einen Missbrauch des Wegfalls der Binnengrenzen zu vermeiden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Freiheitlichen.)

Ein gemeinschaftliches Vorgehen kann schließlich dazu führen, dass der Einwanderungsdruck vermindert und die Lastenverteilung und Solidarität im europäischen Rahmen besser durchgesetzt werden können. Daher erhebt sich die Forderung nach der Schaffung einer neuen EU-Kompetenz für gemeinschaftliche Maßnahmen zur Regelung der Lastenverteilung – die Förderung einer ausgewogenen Verteilung der finanziellen und numerischen Belastungen, wie sie im Artikel 63 Abs. 1 Nummer 2 derzeit vorgesehen ist, reicht dafür sicher nicht aus – sowie die Forderung nach einer Klarstellung, dass die Europäische Union keine Zuständigkeit hat, den Zugang von Asylwerbern, Flüchtlingen und Einwanderern zum Arbeitsmarkt zu regeln.

Meine Damen und Herren! Der Konvent wird in den nächsten Monaten intensive und harte Arbeit zu leisten haben. Ich wünsche all seinen Mitgliedern in unser aller Interesse dabei viel Erfolg. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.)

16.51

Präsident Dr. Heinz Fischer: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Dr. Glawischnig. Redezeit: maximal 10 Minuten. – Bitte.

16.52

Abgeordnete Dr. Eva Glawischnig (Grüne): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wenn ich so in die Reihen der beiden Fraktionen blicke, die


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