9.25
Abgeordneter Dr. Erwin Rasinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Herr
Staatssekretär! Hohes Haus! Herr Abgeordneter Grünewald, Sie haben heute von
diesem Rednerpult aus einen Vorwurf erhoben, den ich als Arzt nicht so stehen
lassen möchte. Sie haben da so „locker vom Hocker“ gesagt, die ÖVP oder die
Regierung würde die österreichischen Kranken nach dem Motto behandeln: Wer
krank ist, ist selber schuld! – Ich glaube, als Arzt sollten Sie mit
solchen Vorwürfen vorsichtiger umgehen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten
der Freiheitlichen.) Es ist dies nämlich eine Unterstellung, die durch nichts,
durch gar nichts untermauert
ist.
Sie haben an
Verhandlungen teilgenommen, und Sie wissen genau – ich kann Ihnen die entsprechende
Passage der Regierungserklärung vorlesen –, Bundeskanzler Schüssel hat
sich ausdrücklich zum
Weltklasse-System bekannt und zu einem Zugang zur medizinischen Versorgung
unabhängig vom Einkommen, unabhängig von der Region und unabhängig von der Art
der Erkrankung. (Abg. Parnigoni:
... Sonderklasse!)
Das ist ein
wesentlicher Punkt, das ist österreichische Tradition. Wenn wir in Österreich
aber Weltklasse wollen – und das bescheinigt uns die WHO: Platz 9,
EU-Zufriedenheit: Platz 1 –, dann müssen wir die Dinge beim Namen
nennen. Dann müssen wir schauen, wo Bedarf gegeben ist. Die Frau Ministerin
hat schon gesagt: Der medizinische Fortschritt und die höhere Lebenserwartung
der Bevölkerung sind begrüßenswert, kosten aber.
Sie als Arzt
wissen ganz genau, dass jährlich 20 000 Menschen einen Schlaganfall
erleiden. Das würde in zwei Jahren der Bevölkerung einer Stadt in der Größe von
St. Pölten entsprechen. Die Betreuung der Patienten kostet Geld, und wir
bekennen uns dazu. (Rufe bei den Grünen: Selber zahlen!)
Zweitens: Wenn Sie
14 000 ÖsterreicherInnen jährlich eine künstliche Hüfte einsetzen, dann
heißt das Lebensqualität, aber nicht Lebensverlängerung für diese Patienten,
heißt das: keine Schmerzen, nicht mehr in der Nacht aufwachen. Aber das kostet
Geld!
Und wenn in
Österreich 15 000 Herzeingriffe durchgeführt werden, bei denen Gefäße
aufgedehnt werden, heißt das für die betroffenen Patienten Lebensqualität,
heißt das Überleben. Das ist nicht selbstverständlich, Herr Abgeordneter
Grünewald, wie Sie offenbar glauben. Schauen Sie einmal nach Amerika!
40 Millionen Menschen sind dort nicht versichert, und wenn jemand dort
nicht bezahlen kann, kann er noch vor dem Spital umdrehen und heimgehen, denn
dann wird die Behandlung abgebrochen.
Schauen Sie nach
Deutschland! (Abg. Dr. Grünewald:
Wir sind in Österreich!) In Deutschland wurde durch bürokratische
Maßnahmen von Rot-Grün – bitte: Rot-Grün! – den Patienten eine ganze
Reihe von Medikamenten verweigert. Und Sie wissen auch ganz genau, dass in Deutschland
nur jeder zehnte Alzheimer-Patient sein Medikament bekommt, weil das von der
Bürokratie her den Ärzten „abgedreht“ wurde. Also tun Sie nicht so, als ob wir
auf der Insel der Seligen wären und Sie
die Solidarität erfunden hätten! (Beifall bei der ÖVP.)
Selbstbehalte sind
notwendig, Selbstbehalte sollen aber Patienten nicht abhalten von Leistungen,
und der Auftrag der Regierung an die Sozialversicherung ist sehr klar, sehr
simpel: Selbstbehalte müssen sozial verträglich sein! Die Größenordnung, über
die wir reden, ist in etwa ein
Prozent der Kasseneinnahmen. (Abg. Öllinger: Das stimmt ja nicht!) Da können Sie wirklich nicht
sagen, dass das eine Überbelastung ist, noch dazu, da noch keiner weiß, wie das
Modell ausschaut, wie hoch dieser Betrag tatsächlich sein wird. Sie aber sind
offensichtlich erleuchtet!
Ich bin so wie Sie
Arzt und lasse diesen Vorwurf: Wer krank ist, ist selber schuld!, nicht so stehen.
Ich finde diesen Vorwurf eigentlich skandalös! (Beifall bei der ÖVP. –
Abg. Dr. Grünewald: Weil nur
die Kranken zahlen!)
Sie betreiben meiner Meinung nach Realitätsverweigerung. Wenn man dem Gesundheitswesen kein Geld zuführt, was passiert denn dann? – Dann müssen Sie verdeckt rationieren! (Abg. Dr. Grünewald: Herr Rasinger, Sie reden immer von etwas anderem!) Dann müssen Sie