Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 15. Sitzung / Seite 11

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Abgeordneter Dr. Erwin Rasinger (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Herr Abgeordneter Grünewald, Sie haben heute von diesem Rednerpult aus einen Vorwurf erhoben, den ich als Arzt nicht so stehen lassen möchte. Sie haben da so „locker vom Hocker“ gesagt, die ÖVP oder die Regierung würde die österrei­chi­schen Kranken nach dem Motto behandeln: Wer krank ist, ist selber schuld! – Ich glaube, als Arzt sollten Sie mit solchen Vorwürfen vorsichtiger umgehen. (Beifall bei der ÖVP und bei Ab­ge­ordneten der Freiheitlichen.) Es ist dies nämlich eine Unterstellung, die durch nichts, durch gar nichts untermauert ist.

Sie haben an Verhandlungen teilgenommen, und Sie wissen genau – ich kann Ihnen die ent­spre­chende Passage der Regierungserklärung vorlesen –, Bundeskanzler Schüssel hat sich aus­drücklich zum Weltklasse-System bekannt und zu einem Zugang zur medizinischen Ver­sor­gung unabhängig vom Einkommen, unabhängig von der Region und unabhängig von der Art der Erkrankung. (Abg. Parnigoni: ... Sonderklasse!)

Das ist ein wesentlicher Punkt, das ist österreichische Tradition. Wenn wir in Österreich aber Welt­klasse wollen – und das bescheinigt uns die WHO: Platz 9, EU-Zufriedenheit: Platz 1 –, dann müssen wir die Dinge beim Namen nennen. Dann müssen wir schauen, wo Bedarf ge­ge­ben ist. Die Frau Ministerin hat schon gesagt: Der medizinische Fortschritt und die höhere Le­bens­erwartung der Bevölkerung sind begrüßenswert, kosten aber.

Sie als Arzt wissen ganz genau, dass jährlich 20 000 Menschen einen Schlaganfall erleiden. Das würde in zwei Jahren der Bevölkerung einer Stadt in der Größe von St. Pölten entspre­chen. Die Betreuung der Patienten kostet Geld, und wir bekennen uns dazu. (Rufe bei den Grü­nen: Selber zahlen!)

Zweitens: Wenn Sie 14 000 ÖsterreicherInnen jährlich eine künstliche Hüfte einsetzen, dann heißt das Lebensqualität, aber nicht Lebensverlängerung für diese Patienten, heißt das: keine Schmerzen, nicht mehr in der Nacht aufwachen. Aber das kostet Geld!

Und wenn in Österreich 15 000 Herzeingriffe durchgeführt werden, bei denen Gefäße aufge­dehnt werden, heißt das für die betroffenen Patienten Lebensqualität, heißt das Überleben. Das ist nicht selbstverständlich, Herr Abgeordneter Grünewald, wie Sie offenbar glauben. Schauen Sie einmal nach Amerika! 40 Millionen Menschen sind dort nicht versichert, und wenn jemand dort nicht bezahlen kann, kann er noch vor dem Spital umdrehen und heimgehen, denn dann wird die Behandlung abgebrochen.

Schauen Sie nach Deutschland! (Abg. Dr. Grünewald: Wir sind in Österreich!) In Deutschland wur­de durch bürokratische Maßnahmen von Rot-Grün – bitte: Rot-Grün! – den Patienten eine gan­ze Reihe von Medikamenten verweigert. Und Sie wissen auch ganz genau, dass in Deutsch­land nur jeder zehnte Alzheimer-Patient sein Medikament bekommt, weil das von der Büro­kratie her den Ärzten „abgedreht“ wurde. Also tun Sie nicht so, als ob wir auf der Insel der Seligen wären und Sie die Solidarität erfunden hätten! (Beifall bei der ÖVP.)

Selbstbehalte sind notwendig, Selbstbehalte sollen aber Patienten nicht abhalten von Leis­tun­gen, und der Auftrag der Regierung an die Sozialversicherung ist sehr klar, sehr simpel: Selbst­behalte müssen sozial verträglich sein! Die Größenordnung, über die wir reden, ist in etwa ein Prozent der Kasseneinnahmen. (Abg. Öllinger: Das stimmt ja nicht!) Da können Sie wirklich nicht sagen, dass das eine Überbelastung ist, noch dazu, da noch keiner weiß, wie das Modell ausschaut, wie hoch dieser Betrag tatsächlich sein wird. Sie aber sind offensichtlich erleuchtet!

Ich bin so wie Sie Arzt und lasse diesen Vorwurf: Wer krank ist, ist selber schuld!, nicht so ste­hen. Ich finde diesen Vorwurf eigentlich skandalös! (Beifall bei der ÖVP. – Abg. Dr. Grünewald: Weil nur die Kranken zahlen!)

Sie betreiben meiner Meinung nach Realitätsverweigerung. Wenn man dem Gesundheitswesen kein Geld zuführt, was passiert denn dann? – Dann müssen Sie verdeckt rationieren! (Abg. Dr. Grü­newald: Herr Rasinger, Sie reden immer von etwas anderem!) Dann müssen Sie


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