Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 22. Sitzung / Seite 93

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tige Entwicklungen angedeutet werden. (Ruf bei der ÖVP: Das ist Interpretations­sache!)

Sie wissen genau: Wir haben die Stellung des Bundespräsidenten der Verfassung von 1929 zu verdanken. Die Sozialdemokratie war es, die über die Jahre in einer Reihe von Beiträgen die Stellung des Bundespräsidenten – das Machtgefüge, den Hinter­grund, die Frage des Parlamentarismus und die Stellung dieses Hauses – immer wie­der angeschnitten und immer wieder auch die Frage zur Diskussion gestellt hat: Braucht es hier einen derartigen Bundespräsidenten?

Insofern erachte ich eine Diskussion – wenngleich vielleicht unter Verwendung anderer Worte als „Verfassungsschotter“ – an sich als angebracht. Ich erachte sie nur als rela­tiv unredlich, wenn das, was hier zum Bundespräsidenten gesagt wird, eigentlich nicht im Einklang zu den Dogmen und Hintergründen steht, die sonst die Verfassungsände­rung von 1929 gekennzeichnet haben.

Sie wissen, meine Damen und Herren, es hat damals eine Auseinandersetzung gege­ben, die davon geprägt war, dass insbesondere die österreichischen Heimwehren rela­tiv stark gegen die Stellung des Parlaments aufmunitioniert haben, dass sie zwar von einer so genannten wahren Demokratie gesprochen, in Wirklichkeit aber das Anliegen vertreten haben, die Demokratie einzuschränken. Dem Buch Walter/Mayer „Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts“ entnehmen wir, dass dies eine stän­destaatliche Art war, die Macht des Parlaments auszuschalten.

Herr Präsident Khol! Wenn ich mir eine Reihe von Erklärungen anschaue, die von Ihnen und Vertretern der Regierung – auch vom Bundeskanzler – in der letzten Zeit ab­gegeben worden sind, dann erkenne ich eine Entwicklung, die international, so würde ich meinen, im höchsten Ausmaß beklemmend ist. Ich wäre im Ausland nicht stolz dar­auf, dass wir überhaupt eine derartige Diskussion führen.

Ich würde im Inland appellieren, hier doch zu einer Art und Weise der Diskussion zu­rückzukehren, bei der man sehr offen sagt, was man eigentlich will. Herr Präsident Khol, Sie wissen jedenfalls, was ich meine. Wir haben in der letzten Zeit eine Fülle von Entwicklungen und Erklärungen, die ganz einfach aus dem Material des Ständestaates entliehen sind, und ich denke, dass wir das nicht notwendig haben.

Ich sage es nur kurz, weil meine Redezeit schon fast abgelaufen ist: Dass in einer Kir­che eine politische Rede gehalten wird, ist neu. Gott in die Verfassung hineinzuneh­men, ist ein ständestaatliches Relikt, das in einer modernen Demokratie nichts verloren hat! (Beifall bei der SPÖ.) Ich füge hinzu: bei allem Respekt vor der Religion, meine Damen und Herren – ich betone: bei allem Respekt, damit ich hier nicht missverstan­den werde!

Wenn ich daran denke, dass hier im Hause vor kurzem noch ein Buch über Engelbert Dollfuß vorgestellt wurde, das mit einem nahezu – Herr Präsident, ich habe es so emp­funden – verherrlichenden Vorwort von Ihnen eingeleitet wird, dann gebe ich zu be­denken, dass es sich dabei um jenen Engelbert Dollfuß handelt, der der Demokratie dieses Landes den Todesstoß versetzt hat, der durch die Beschießung von Gemein­debauten und durch einen auch im strafrechtlichen Sinn durchgeführten Arbeitermord der Geschichte dieses Landes eine traurige Prägung gegeben hat!

Wenn Dollfuß von Ihnen ein würdiges, ehrenvolles Redegeleit erhält, und gleichzeitig immer noch sein Bildnis bei Ihnen – Sie entschuldigen, dass ich das wiederhole – im Klub hängt, dann meine ich: Gehen Sie in sich, Herr Präsident! Gehen Sie in sich, mei­ne Damen und Herren von der ÖVP, und räumen Sie endlich mit Ihrem Geschichtsver­ständnis auf! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der Grünen.)

 


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