Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 28. Sitzung / Seite 49

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über den Beitrittsländern. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall. Wir können uns selbst hin und wieder sozusagen am Ohrläppchen ziehen, was da noch alles nicht in Ordnung ist. (Beifall bei den Grünen.)

Es gibt einige Fragen, die ich noch anschneiden möchte, weil mir da jeweils sozusagen irgendwie die Perspektive zu fehlen scheint: die Wanderungsproblematik. Natürlich wird es neue Wanderungsströme geben innerhalb der erweiterten Union. Niemand weiß genau, wie viele, aber es wird sie geben.

Ich möchte nur daran erinnern – ich bin alt genug, dass ich das selbst noch so einiger­maßen bewusst erlebt habe –: Österreich war in den fünfziger Jahren bis mindestens Mitte der sechziger Jahre ein Netto-Auswanderungsland, nach Deutschland, nach Schweden, nach Kanada, nach Australien, ja sogar bestimmte südamerikanische Län­der waren damals vom Pro-Kopf-Einkommen her reicher als Österreich und daher in­teressante Auswanderungsländer, zum Beispiel Argentinien und Uruguay. Österreich hat das gut überlebt. Es sind damals Hunderttausende Menschen ausgewandert – sie blieben zum Teil Österreicher, zum Teil auch nicht.

In den späten sechziger und in den siebziger Jahren war Österreich ein Netto-Einwan­derungsland, aus verschiedenen Gründen, die wir hier nicht zu rekapitulieren brau­chen. Und insofern hat es mich schon überrascht, dass der Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammer eine solch restriktive Position eingenommen haben bezüglich Frei­zügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Die ursprüngliche Forderung, erst dann Freizügigkeit, wenn 80 Prozent des österreichischen Lohnniveaus erreicht sind, war ja – entschuldi­gen Sie, wenn ich das so sage, meine Kollegen von der Gewerkschaft, die ja in allen Fraktionen vertreten sind – hanebüchen, denn dann hätten ja Griechenland, Italien und Portugal auf der Stelle aus der EU austreten müssen.

Gut, diese Geschichte ist vorbei. Es gibt halbwegs akzeptable Übergangsregelungen, auch wenn sie aus unserer Sicht, aus der Sicht der Grünen, stark übertrieben sind und sich auch in vielen Gesprächen mit den Botschaftern der Beitrittsländer kein Hinweis darauf ergeben hat, dass diese langen Übergangsfristen notwendig sind.

Noch ein Wort zur Ökonomie. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, dass Österreich in besonderer Weise schon profitiert hat von der so genannten Ost­öffnung seit 1989 und in besonderer Weise von der Erweiterung um die zehn neuen Länder profitieren wird. Das ist richtig. Wir haben das – auch ich selbst – in Diskussio­nen über Chancen und allfällige Gefahren der EU-Erweiterung immer wieder hervorge­stellt. Aber Unbehagen empfinde ich schon, wenn man dieses Argument in den Vorder­grund stellt. Denn was wäre, wenn Österreich nicht diese geographische Gunstlage hätte, würden wir dann gegen die Erweiterung der Union sein? – Sicher nicht, hoffe ich doch. Länder wie Portugal und Spanien haben keine unmittelbaren Vorteile aus der EU-Erweiterung und werden sie trotzdem, wie ich sehr annehme und hoffe, befür­worten.

Ich finde, wir sollten diesen Aspekt nicht zu sehr in den Vordergrund stellen, er hat etwas Krämerisches – ich muss das so sagen – an sich. Stattdessen sollten wir hin und wieder ein Gedankenexperiment machen und fragen: Was wäre beispielsweise 1970 gewesen, wenn damals das Angebot der Führer des – ich sage es immer so – sowjetischen Imperiums gekommen wäre: Wir ziehen uns aus diesen mitteleuropäi­schen Ländern zurück; was seid ihr, was ist Europa bereit dafür zu bezahlen? Hätten wir uns dann wirklich um 0,1 Prozent des BIP gestritten, so wie im Zusammenhang mit der Neugestaltung des EU-Budgets auf Grund des Beitritts der neuen Länder? Hätten wir nicht ein Zehnfaches gerne bezahlt? (Präsident Dr. Fischer übernimmt den Vor­sitz.)

 


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