Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 28. Sitzung / Seite 61

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Erlauben Sie mir aber, dass ich gerade beim tschechisch-österreichischen Verhältnis etwas mehr in die Tiefe gehe! Das wird zum Teil, so finde ich, ein wenig oberflächlich diskutiert. Es war sehr, sehr schwierig, Frau Abgeordnete Lunacek, überhaupt einen Dialog in Gang zu setzen. Eines sage ich Ihnen schon, weil Sie hier auf Deutschland und Tschechien hingewiesen haben: Warum gab es keine weitere Erklärung? – Weil die tschechische Seite gar nicht bereit gewesen ist, über diese deutsch-tschechische Erklärung hinauszugehen! (Abg. Mag. Lunacek: Da muss Österreich eine ähnliche Erklärung machen! Da muss die Initiative von Österreich kommen!)

Aber diese Initiative hat es doch fünfmal gegeben! Sie glauben doch nicht, dass ich an diesem Thema vorbeigegangen bin. Das ist mit dem Hinweis abgelehnt worden, dass es genug sei.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich finde es eine ganz großartige Geste vom tschechi­schen Ministerpräsidenten Špidla, dass er vor eineinhalb Wochen in einer für ihn innenpolitisch extrem schwierigen Situation nach Göttweig gekommen ist. Der Mann verfügt mit seiner Koalition über eine Mehrheit von nur einer Stimme im Parlament, und die Kommunisten versuchen gerade mit verschiedensten Gesetzesinitiativen und mit viel Störpotential, diesen Versöhnungsprozess zu unterminieren.

Ich habe es großartig gefunden, dass Špidla nach Göttweig gekommen ist und öffent­lich erklärt hat, in die Worte des Bedauerns der tschechischen Seite seien in vollem Maße auch jene damaligen deutschsprachigen Einwohner der böhmischen Länder ein­zubeziehen, die nach dem Krieg Bewohner von Österreich geworden sind.

Darf ich Ihnen sagen, was da dahinter steckt? – Zum ersten Mal hat damit ein tschechi­scher Ministerpräsident anerkannt, dass die deutsch-tschechische Erklärung in ihrer Substanz genauso, eins zu eins, die heutigen Österreicher mit einschließt. (Beifall bei der ÖVP und den Freiheitlichen.) Das ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorne, und ich danke Špidla auch dafür.

Zweitens: Er hat die Unannehmbarkeit der damaligen Vertreibung und die Übernahme der moralischen Verantwortung für die Vertreibung wiederholt. Aber noch etwas ist neu hinzugekommen, ich will das hier nochmals anführen. Ich zitiere wörtlich:

„So kann ich erneut jedem versichern, dass heute keine der geprüften Rechtsnor­men“ – das sind einzelne Beneš-Dekrete – „aus der Nachkriegszeit neue Rechtsver­hältnisse begründen kann. Was die Normen auf dem strafrechtlichen Bereich an­belangt, sind auch ihre Wirkungen nachweislich überwunden. In der Tschechischen Republik kann man heute danach weder Strafen verhängen, noch in der Nachkriegs­zeit verhängte Strafen vollstrecken.“

Für den Nichtinsider: Was heißt das? – Das heißt erstens, dass das Amnestiegesetz abgeschafft werden wird. Das ist nicht eine Forderung, die wir jetzt erheben. Das steckt konkret hinter diesem Satz. Das ist etwas, was übrigens der österreichische Nationalrat und das Europäische Parlament immer für sinnvoll und notwendig erachtet haben. Aber es ist gut, dass er das von sich aus sagt.

Zweitens bedeutet das, dass damit die In-absentia-Urteile – einige könnten rein theore­tisch in der Tschechischen Republik noch immer vollstreckt werden – ein für alle Mal der Vergangenheit angehören.

Ich sage das deswegen, weil das Ganze oft kompliziert klingt und manchmal auch schwierig umzusetzen ist. Wir sehen also, dass da in den letzten Wochen wirklich etwas Positives geschehen ist. Frau Abgeordnete, das ist keine „dynamische Stagna­tion“; ich bitte Sie wirklich, diese Fortschritte ein bisschen ehrlicher zu beschreiben, das ist sehr viel mehr: Das ist eine echte politische Weiterentwicklung in die richtige Rich-


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