Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 35. Sitzung / Seite 35

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vorgezeichneten Weg und belasten die Berufungsbehörde mit zusätzlicher Arbeit – jene Behörde, deren Aufgabe es eigentlich ist, sich in gerichtsförmiger Weise von der Glaubwürdigkeit eines Asylwerbers zu überzeugen. Diese Behörde muss nun in einem Aktenverfahren, ohne die Möglichkeit eines persönlichen Kontaktes mit dem Asylwer­ber, darüber entscheiden, ob die Berufung aussichtslos ist oder nicht. Das bedeutet: schnelle Entscheidung oder Anwachsen der Aktenrückstände.

Dasselbe gilt für das Novationsverbot. Dadurch werden die Möglichkeiten der Asylwer­berInnen reduziert, im Berufungsverfahren bisher noch nicht genannte Gründe vorzu­bringen. Dabei handelt es sich um einen Alleingang Österreichs innerhalb der Mitglied­staaten der Europäischen Union auf Kosten verfolgter Menschen.

Sie werden im Ergebnis die Zahl der Berufungen nicht reduzieren, und als Konsequenz dieses Gesetzes werden die Asylverfahren in erster und zweiter Instanz nicht verkürzt werden, weil sich diese Regierungsvorlage eines zweifelhaften Instrumentariums be­dient, von dem von vornherein klar ist, dass es der verfassungsrechtlichen Prüfung des VfGH nicht standhalten wird.

Dafür wurde der Rechtsstaat dem Diktat der Effizienz und Sparsamkeit geopfert, statt dass die Regierung, wie zum Beispiel in Deutschland, bei erhöhtem Flüchtlingszustrom den Personalstand des Bundesamtes für Flüchtlingswesen einfach erhöht hätte. In Deutschland arbeiten 2 300 Beamte rund 60 000 Fälle ab, in Österreich 200 bis 300 MitarbeiterInnen im Bundesasylamt und im Unabhängigen Bundesasylsenat 30 000 Fälle – also die Hälfte mit einem Zehntel des Personalstandes!

Die Betreuung von Asylwerbern hat in der Vergangenheit auch nur deshalb halbwegs reibungslos funktioniert, weil die Länder und die Zivilgesellschaft Geld und Unterkünfte zur Verfügung gestellt haben. Volkshilfe, Rotes Kreuz, Evangelische Diakonie, Caritas: Sie alle verdienen in Wahrheit öffentliches Lob und Anerkennung! (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.) – Sie danken diesen Organisationen auf Ihre Weise, nämlich indem Sie deren Ansprüche mit dem Bundesbetreuungsgesetz rückwirkend enteignen.

Sie geben das in den Erläuternden Bemerkungen auch zu, wenn Sie sagen, dass mit einer derartigen Rückwirkung der von diesem Bundesgesetz bewirkten Klarstellungen bestimmte Vertrauensenttäuschungen – wie Sie es ausdrücken – verbunden sein können. Gleichzeitig werden die Ersatzansprüche dieser Organisationen zur Gänze vernichtet, und daher ist diese Regelung verfassungswidrig. Das hat auch der Verfas­sungsrechtler Heinz Mayer im Expertenhearing eindrucksvoll vor Augen geführt, wie auch alle übrigen Experten, die sich im Laufe des Begutachtungsverfahrens zu Wort gemeldet haben:

Professor Heinz Mayer: Die Aufhebung der Rückwirkung der Gesetze mittels authen­tischer Interpretation stellt einen massiven Eingriff ins Eigentum dar. Die gänzliche Ver­nichtung als Ergebnis ist sicher nicht verhältnismäßig und daher verfassungswidrig.

Dr. Köfner, UNHCR: Das Neuerungsverbot in der EU ist einzigartig.

Christian Neumayer, Stadt Wien: Es ist kurios, dass gerade zu jenem Zeitpunkt, wo es Verhandlungen mit den Ländern gibt, diese Vorlage präsentiert wird.

Andreas Lepschi, Caritas: Es gibt einen lockeren Umgang mit der persönlichen Frei­heit, der Missbrauchsgedanke und die Angst dominieren den Gesetzentwurf.

Heinz Patzelt: Es gibt zahlreiche Verfassungs- und Konventionsbrüche. – Weiters kriti­siert er, dass die Beschäftigungsmöglichkeit für Asylwerber zwar positiv sei, dass es aber keinerlei arbeitsrechtliche Mindestsicherung gibt.

Christoph Riedl kritisiert die Begrifflichkeit von Missbrauch und Wirtschaftsflüchtlingen. Er sagt: Die Tatsache, dass mit dem Bundesbetreuungsgesetz die Ansprüche enteig-


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