Erste
Wortmeldung: Herr Abgeordneter Dr. Gusenbauer. 15 Minuten. –
Bitte, Sie sind am Wort. (Abg. Reheis
stellt eine Tafel mit der Aufschrift „Für ein
soziales Europa! – SPÖ“ auf das Rednerpult. – Abg. Scheibner:
Das ist zu groß, das verdeckt den Redner! – Weitere Zwischenrufe bei der
ÖVP und den Freiheitlichen.)
11.27
Abgeordneter Dr. Alfred Gusenbauer (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ja, es ist richtig: Europa hat sehr viel erreicht. Und das Allerwichtigste, was Europa erreicht hat, ist, dass es nicht nur in den letzten Jahrzehnten auf dem Gebiet der Europäischen Union keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr gegeben hat, nein, viel mehr: Es ist heute völlig unvorstellbar, dass Mitgliedstaaten der Europäischen Union miteinander in Kriegshandlungen verwickelt werden. Und das ist das größte historische Ergebnis der europäischen Einigung, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ sowie des Abg. Dr. Van der Bellen.)
Ich
glaube, uns allen ist bewusst, dass „einmal erreicht“ nicht heißt, dass das für
alle Zeiten so bleiben muss, und dass man an den Voraussetzungen für Frieden
und Sicherheit in Europa dauerhaft arbeiten muss. In diesem Zusammenhang ist
die Erweiterung der Europäischen Union, die am 1. Mai 2004
stattgefunden hat, ganz sicher ein historischer Quantensprung, weil sie zehn
weitere Staaten in die Zone der Sicherheit und der Stabilität integrieren wird.
Damit wird die Europäische Union nicht nur größer, sondern auch sicherer, und
der Frieden ist damit in Zukunft besser gesichert. (Beifall bei der SPÖ.)
Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist auch unbestreitbar, dass es in vielen
Fragen der Kooperation und der Integration auf europäischer Ebene Fortschritte
gegeben hat und dass der Weg von der Freihandelszone zu einer Zollunion und
dann zur Wirtschafts- und Währungsunion ganz bedeutende Schritte waren, die
einen Einfluss auf die Wirtschaft und auf die Beschäftigung auf unserem
Kontinent haben.
Aber ich
glaube, wir sollten dabei nicht übersehen, was in den letzten Jahren die blinden
Flecken der Politik der Europäischen Union waren. Wenn wir mit Recht
feststellen, dass es in den letzten Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufstieg
Europas gegeben hat, dann müssen wir aber, glaube ich, gleichzeitig auch
feststellen, dass sehr ambitionierte Ziele, zum Beispiel den Reichtumsabstand
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zu verringern, leider nicht
erreicht wurden.
Wir müssen des Weiteren feststellen, dass viele Menschen, auch wenn es in Europa Beschäftigung gibt, nach wie vor arbeitslos sind und sehr viele Menschen um ihren Arbeitsplatz bangen. Wir müssen auch feststellen, dass die moderne wirtschaftliche Entwicklung und der Umstand, wie die Europäische Union damit umgegangen ist, auch zu vermehrten sozialen Spannungen nicht nur in Europa, sondern auch in all den Mitgliedstaaten geführt haben.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, das ist von entscheidender Bedeutung, weil es darum geht, möglichst alle Menschen auf dem europäischen Weg mitzunehmen, und das geht ohne eine ganz starke soziale Komponente in Europa nicht. Und hier ist eine Änderung erforderlich. (Beifall bei der SPÖ.)
Ich bin schon der Meinung, wenn in den vergangenen Jahren Preisstabilität und Budgetziele im Vordergrund gestanden sind – alles sehr wichtige Zielsetzungen –, dass dem manchmal das Beschäftigungsziel geopfert wurde. Ich erwarte mir schon einen stärkeren Einsatz, wenn es um die Beschäftigung und um die Chancen der Menschen in Europa geht.