Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 64. Sitzung / Seite 63

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

in der heißen Phase der Verfassungsdebatte macht die Einberufung einer Sondersit­zung durch die Grünen nötig.

Die parlamentarische Legitimationsbasis der Europapolitik der österreichischen Bun­desregierung ist schmal. Die Bilanz zu den parlamentarischen Mitspracherechten ge­mäß Art. 23e B-VG ist negativ. Die Informationspflichten der Regierungsmitglieder ge­genüber dem Nationalrat wurden mehrfach verletzt. In den zentralen europapolitischen Angelegenheiten wurde kein Konsens gesucht. Gab es unmittelbar nach dem Beitritt zur Europäischen Union immer wieder gemeinsame Initiativen des österreichischen Nationalrates, so muss heute festgestellt werden, dass in dieser GP nur noch ein einziger Beschluss im EU-Hauptausschuss gefasst wurde. Und selbst bei diesem Be­schluss handelte es sich um eine Kenntnisnahme einer vorgeformten Grundsatzposi­tion der Bundesregierung zur Verfassungsdebatte durch die Regierungsfraktionen und nicht um eine offene Debatte über ebendiese österreichische Position, die eigentlich einen parteienübergreifenden Konsens dringend nötig hätte. Die Bundesregierung trägt, nachdem sie im Parlament nach keinem Konsens gesucht hat, für die Europa­politik die alleinige Verantwortung. Die europapolitischen Defizite im Hinblick auf die Umsetzung europäischer Richtlinien und auf die Beteiligung österreichischer Minister an Ratssitzungen sind besonders unverständlich.

Bei der Außenministerkonferenz ist die Ausweitung der qualifizierten Mehrheit in den Bereichen Sozial-, Wirtschafts- und Steuer- sowie Landwirtschaftspolitik, wie sie der Konvententwurf zum Inhalt hat, zur Disposition gestellt worden. Nationalstaatlich unlös­bare Probleme werden nach Brüssel delegiert. Damit werden uneinlösbare Erwartun­gen geweckt. Dies gilt umso mehr, solange der Rat mit der Aufrechterhaltung des Ein­stimmigkeitsprinzip in zahlreichen Politikbereichen alle Lösungen blockiert. Die natio­nalen Regierungen verbinden damit den Erhalt ihrer Machtstellung. Das Prinzip der Einstimmigkeit bedeutet Veto-Macht für jeden Mitgliedstaat und führt zum Scheitern

In der Europäischen Union gibt es 20 Millionen Arbeitslose, 18 Prozent davon sind jugendlich. 56 Millionen Menschen sind akut von Armut bedroht. Das Ziel der Vollbe­schäftigung wurde auf der Außenministerkonferenz vollkommen ausgehöhlt. Der so genannte „hohe Beschäftigungsgrad“ ist als Querschnittsbestimmung in Kapitel III ver­ankert worden. Diese Klausel wurde von der Außenministerin Ferrero-Waldner als „Stärkung der sozialen Dimension“ kommentiert. Tatsächlich ist damit bereits vor in Kraft treten der Verfassung die Vollbeschäftigung als Ziel der Union wieder fallen gelassen worden.

Auf das Scheitern des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wurde keine politische Ant­wort gefunden. Sinnvolle Reformvorschläge der Bundesregierung sind nicht bekannt.

Die europäischen Regierungschefs haben den Passus, die Nato zur 'unverzichtbaren Grundlage der europäischen Verteidigung' zu machen, dem Verfassungsentwurf im vergangenen Dezember hinzugefügt. Das leitet eine völlig falsche Entwicklung der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und eine Unterordnung unter die Hege­monie der USA ein. Es steht im krassen und offenen Widerspruch zum österreichi­schen Neutralitätsgesetz. Das ist ein schwerer Einbruch in das Konzept des Verfas­sungskonventes, der eine autonome, souveräne, von der Nato unabhängige Außen- und Sicherheitspolitik ermöglichen würde. Diese Bestimmung schreibt eine Identität von Nato und EU unter der militärischen und politischen Vorherrschaft der USA fest. Sie stellt den kürzesten Weg zu einem NatO-Beitritt Österreichs dar, den die schwarz-blaue Regierung auf diese Weise umzusetzen versucht.

Nicht zuletzt angesichts steigender Rohölpreise droht in Europa eine Wiederbelebung der Atomkraft. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat den deutschen Atomausstieg als falsch bezeichnet und sich für den Bau neuer Atomkraftwerke ausge-


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite