Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 64. Sitzung / Seite 64

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sprochen. Das konservativ regierte Frankreich hat vor wenigen Tagen den Bau einer neuer Generation von Atomreaktoren beschlossen. Der slowakische Wirtschaftsminis­ter Pavol Rusko hat die Fertigstellung der Blöcke 3 und 4 des AKW Mochovce ange­kündigt und sogar die slowakische Schließungsverpflichtung für den Hochrisikoreaktor Bohunice in Frage gestellt, obgleich dies per Beitrittsvertrag im EU-Primärrecht ver­ankert ist. In Temelin reißt die Störfallserie nicht ab, am 2. Juni kam es zum bereits 64. Zwischenfall. In Großbritannien, Russland, Ukraine, Bulgarien, Frankreich, Rumä­nien, Tschechien, Finnland, Litauen sind insgesamt mehr als 30 Atomkraftwerke in Bau oder Planung. Darunter in Russland sogar ein Reaktor vom Typ Tschernobyl.

Diese Wiederbelebung der EU-Atomindustrie droht von der EU-Kommission durch Mil­lionen-Kredite unterstützt zu werden. Denn der Euratom-Vertrag räumt der Kommission unter anderem die Vergabe von günstigen Krediten an EU-Staaten und Drittländer ein. Erst vor wenigen Wochen hat die EU-Kommission einen Kreditantrag für den Bau des rumänischen AKW Cernavoda II in der Höhe von 223,5 Millionen € bewilligt. Das bisher mit 4 Milliarden € limitierte Euratom-Kreditvolumen soll auf 6 Milliarden € aufgestockt werden. Das Europaparlament hat bei Euratom-Entscheidungen kein Mitspracherecht.

Eine Reform des Euratom-Vertrages ist daher der Schlüssel für den Europäischen Atomausstieg. Auf Initiative der Grünen ist es im EU-Konvent gelungen, den Euratom-Vertrag aus der EU-Verfassung herauszulösen, damit den Weg für eine grundlegende Reform zu ebnen und einzelnen Staaten die Option eines Ausstiegs aus Euratom zu eröffnen, ohne aus der EU austreten zu müssen. Derzeit besteht die Gefahr, dass das Konventsergebnis bei der EU-Regierungskonferenz wieder zunichte gemacht wird. Zentrales Anliegen muss die rasche Einberufung einer Euratom-Revisionskonferenz sein, wie dies auch das Europäischen Parlament verlangt hat. Leider hat die Bundes­regierung ihre bisherigen Lippenbekenntnisse nicht in die Tat umgesetzt. Weder gab es einen Antrag Österreichs bei der EU-Regierungskonferenz im Herbst 2003 noch hat die Bundesregierung eine Euratom-Reform zum Schwerpunkt für die österreichische EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 erklärt. Betreffend die drohende Aufsto­ckung des Euratom-Kreditvolumens hat die Bundesregierung eine klare antiatompoli­tische Position vermissen lassen. Sie will zusätzlichen EU-Atommilliarden selbst dann zustimmen, wenn mit diesen Geldern in Bau befindliche AKW fertig gestellt werden.

Die Bundesregierung wäre in der Antiatomfrage alleine auf Grund des in Österreich be­stehenden Verfassungsverbotes von Atomkraft angehalten, eine Pionierrolle in Europa einzunehmen. Leider beschränkt sich die Antiatompolitik der Bundesregierung haupt­sächlich auf das Produzieren von innenpolitischen Medienschlagzeilen, während sie in Brüssel durch Mutlosigkeit gekennzeichnet ist.

Zudem will die Bundesregierung die einzig ökologisch und sozial vernünftige Alterna­tive zu Atomenergie, nämlich den Ausbau der erneuerbaren Energieträger, blockieren. Das Ökostromgesetz soll zerschlagen werden. Dadurch wird Österreich das per EU-Richtlinie vorgegebene Ziel zur Steigerung des Ökostromanteils verfehlen. Stattdessen werden die Atomstromimporte steigen. Große wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Chancen drohen dadurch fahrlässig vertan zu werden.

Finanzminister Grasser ist im ECOFIN-Rat – jenseits aller verfassungsrechtlichen Ver­pflichtungen gegenüber dem österreichischen Nationalrat (wie der Informationspflicht nach Art. 23e B‑VG) – für eine Beschneidung der Budgetrechte des Parlaments einge­treten. Die Budgetkompetenz des Europäischen Parlamentes ist gefährdet. Die Reduk­tion des EU-Budgets bei gleichzeitiger Abwälzung zahlreicher Aufgaben auf Europa entspricht einer politischen Selbstausschaltung. Mit jeder neu definierten Aufgabe muss eine entsprechende Budgetierung einhergehen.

 


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