Herr Bundeskanzler! Soweit uns bekannt ist, ist in der derzeitigen Planung für die österreichische Präsidentschaft in der EU im ersten Halbjahr 2006 – die Vorbereitungen laufen selbstverständlich – seitens der österreichischen Präsidentschaft noch keine echte, wahrzunehmende, massive Initiative geplant, obwohl wir hier auf der anderen Seite eine ambivalente Situation haben: Einerseits haben wir eine Atom-Lobby in Europa, die sich so stark rührt wie selten zuvor, andererseits sind im Europa der 25 nur acht Staaten aktive Atomkraftwerksbetreiber. Die anderen haben entweder nie welche gehabt, so wie Österreich, oder sie haben welche und sind dabei, sie stillzulegen, oder sie haben wenigstens einen langfristigen Ausstiegsplan. Nur acht sind hier aktiv, ein Drittel der jetzigen 25 Mitgliedstaaten der Union.
In diesem Zusammenhang noch: Wissen Sie,
Herr Bundeskanzler, die Glaubwürdigkeit der Politik, und hier insbesondere der
Energiepolitik, steht wirklich auf dem Spiel – damit meine ich nicht die
europäische Energiepolitik, sondern die österreichische Energiepolitik –,
wenn Sie einerseits im Inland immer wieder beschwören, wir tun alles, um die
Atomlobby sozusagen im Zaum zu halten, und auf der anderen Seite, im gleichen
Atemzug von Minister Bartenstein im Widerspruch zu einer EU-Richtlinie de facto
die Förderung des Ökostrommarktes in Österreich zerschlagen werden soll. Was
ist denn das? Was, glauben Sie, wird an die Stelle dieser jetzigen
beziehungsweise zu produzierenden Ökostrommengen treten? Importierte Atomstrommengen?
Ist das die Politik, die Sie anstreben? (Beifall bei den Grünen.)
Das muss einmal ganz klar gesagt werden, wie Sie sich die Zusammensetzung des künftigen österreichischen Strommarktes vorstellen. Sind das die Atomstromimporte oder ist das der Ökostrombereich, der, nebenbei gesagt, wirtschaftspolitisch enorm interessant ist? Man weiß doch – und das wissen doch auch Sie, hätte ich gedacht, Herr Kollege Mitterlehner von der ÖVP –, wie viele Jobs, wie viele Exportchancen im Bereich der Biomasse et cetera, et cetera von Österreich auf diesem Gebiet wahrgenommen werden könnten. Aber sicher nicht dann, wenn von Seiten der Bundesregierung dieser Markt kaputtgemacht wird.
Die Frage Friedenspolitik und Nato. Herr Bundeskanzler! Es ist leicht, sich auf einer abstrakten Ebene darauf einzuschwören: Natürlich werden alle in Österreich für eine friedliche, für eine friedensorientierte Ausrichtung der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sein. Aber warum und auf welcher Grundlage haben Sie dann dem neu eingefügten Passus, der im Konventsentwurf zur Europäischen Verfassung nicht drinnen war, zugestimmt, dem Passus, der die Nato zur unverzichtbaren Grundlage der europäischen Verteidigung macht?
Man kann zur Nato stehen, wie man will. Ich will den Deutschen gar nicht einreden, aus der Nato auszutreten. Das ist nicht unser Problem, sondern es geht um das neutrale Österreich und dessen Rolle in einer künftigen europäischen so genannten Verteidigungsarchitektur. Und dem ist es sicherlich nicht hilfreich und nicht zweckmäßig, wenn gleichzeitig die Nato zur Grundlage der europäischen Verteidigung gemacht wird. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.) Das verhindert ja geradezu, dass die neutralen Länder, und darunter insbesondere Österreich, sich in irgendeiner Weise an der Entwicklung dieser gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik beteiligen. (Beifall bei den Grünen und der SPÖ.)
Also noch einmal: Wie ist es möglich, dass Sie einerseits offiziell die Neutralitätspolitik – was heißt „-politik“, die Neutralität ist verfassungsrechtlicher Status in Österreich, Sie müssen sie selbstverständlich einhalten! –, dass Sie einerseits die Neutralität in Sonntagsreden bewahren wollen und andererseits für die europäische Verteidigung die Nato als Grundlage ansehen? (Abg. Scheibner: Aber wer, Herr Kollege, bezahlt?) Österreich wird sicherlich nicht die Rüstungsanstrengungen der Nato bezahlen, oder, Herr Kollege Scheibner? Das ist zumindest die Position der Grünen. Ich weiß nicht,