Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 66. Sitzung / Seite 12

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Sehr geehrte Damen und Herren! In diesem Haus sitzen Menschen unterschiedlicher politischer Gesinnung. Das ist das Wesen, das ist das Hauptcharakteristikum eines demokratischen Parlaments. Eine Demokratie, ein parlamentarisches System ist gerade dann erfolgreich und für die Menschen attraktiv, wenn bei aller Verschiedenheit alle Repräsentantinnen und Repräsentanten bestimmte, ganz bedeutende Grund­fragen gänzlich außer Streit stellen. Lassen Sie mich zwei dieser Grundfragen kurz ansprechen.

Erstens: Das, was uns in diesem Haus verbindet, ist, dass unsere Republik, unser parlamentarisches System 1945 als echte Antithese zur nationalsozialistischen Diktatur wieder errichtet wurde und dass sich jedes Mitglied des Nationalrates voll und ganz zu genau dieser unserer Republik bekennt.

Zweitens: Niemand kann bestreiten, dass es bei aller Unterschiedlichkeit nur demo­kratisch gewählte Parteien in diesem Hause gibt, und daher sollte es auch bei heftigen Debatten so sein, dass wir uns, dass sich die Mitglieder dieses Hauses diese Grund­überzeugung, dieses Bekenntnis zu unserer Republik und zu unserem demokratischen System nicht gegenseitig absprechen.

Hohes Haus! Bei allem Bemühen um einen Grundkonsens und um eine würdige parlamentarische Kultur, bei aller Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Sitzungssaal sollten wir aber auch nicht vergessen, dass ein demo­kratisches Parlament oft eben auch ein sehr lebhaftes Parlament ist, dass Menschen Emotionen haben und es auch emotional geführte Diskussionen geben kann – natür­lich in einem entsprechenden Rahmen. Das Vorsitz führende Präsidiumsmitglied und der Nationalrat als Ganzes haben hier wohl eine Gratwanderung zu beschreiten: zwischen dem lebhaften Parlament auf der einen Seite und dem Abgleiten in Unsach­lichkeit auf der anderen Seite.

Hohes Haus! Wir müssen uns bewusst sein, dass durch die Internet- und TV-Über­tragungen unser Parlament noch viel öffentlicher geworden ist, als es das in der Vergangenheit war. Das ist erfreulich, stellt uns aber auch vor besondere Heraus­forderungen. Die Menschen unseres Landes bewerten unsere Arbeit nicht nur nach den Ergebnissen, die in Gesetzesform vorliegen, also sozusagen nicht nur nach dem gesetzlichen, dem legistischen Output – so wichtig dieser auch ist –, sondern verstärkt auch nach dem öffentlichen Auftreten, das alle mitverfolgen können, was viele auch tun.

Wir kennen das Schlagwort von „Politikverdrossenheit“ und wissen auch, dass dieses nicht nur ein Schlagwort ist. Diese bei manchen Menschen in unserem Land vorhan­dene Politikverdrossenheit in Politikinteresse umzuwandeln ist Aufgabe von uns allen, von jedem und jeder Einzelnen von uns.

Hohes Haus! Ich habe gesagt, dass ich es für erfreulich erachte, dass unser National­rat in höherem Maße öffentlich ist als früher. Genauso erfreulich finde ich es, dass der Nationalrat auch in höherem Maße weiblich ist, weiblicher, als er vor Jahren oder vielleicht sogar Jahrzehnten noch war. Wir sind aber – da werden Sie mir, denke ich, zustimmen – wohl auch in diesem Bereich noch lange nicht am Optimum angelangt. Sollte ich von Ihnen gewählt werden, würde ich als einzige Frau im Präsidium des Nationalrates sehr darauf achten und auch darauf hinweisen, dass Frauenanliegen entsprechende Berücksichtigung in diesem Hause finden. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)

Sehr geehrte Damen und Herren! So weit einige grundsätzliche Überlegungen zu meinem Amtsverständnis für ein Präsidiumsmitglied des Nationalrates. Sollte ich gewählt werden, darf ich Ihnen versichern, dass ich mein Bestes geben werde, um


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