Sehr geehrte
Damen und Herren! In diesem Haus sitzen Menschen unterschiedlicher politischer
Gesinnung. Das ist das Wesen, das ist das Hauptcharakteristikum eines
demokratischen Parlaments. Eine Demokratie, ein parlamentarisches System ist
gerade dann erfolgreich und für die Menschen attraktiv, wenn bei aller
Verschiedenheit alle Repräsentantinnen und Repräsentanten bestimmte, ganz
bedeutende Grundfragen gänzlich außer Streit stellen. Lassen Sie mich zwei
dieser Grundfragen kurz ansprechen.
Erstens: Das, was
uns in diesem Haus verbindet, ist, dass unsere Republik, unser parlamentarisches
System 1945 als echte Antithese zur nationalsozialistischen Diktatur wieder
errichtet wurde und dass sich jedes Mitglied des Nationalrates voll und ganz zu
genau dieser unserer Republik bekennt.
Zweitens: Niemand kann bestreiten, dass es bei aller Unterschiedlichkeit nur demokratisch gewählte Parteien in diesem Hause gibt, und daher sollte es auch bei heftigen Debatten so sein, dass wir uns, dass sich die Mitglieder dieses Hauses diese Grundüberzeugung, dieses Bekenntnis zu unserer Republik und zu unserem demokratischen System nicht gegenseitig absprechen.
Hohes Haus! Bei allem Bemühen um einen Grundkonsens und um eine würdige parlamentarische Kultur, bei aller Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung im Sitzungssaal sollten wir aber auch nicht vergessen, dass ein demokratisches Parlament oft eben auch ein sehr lebhaftes Parlament ist, dass Menschen Emotionen haben und es auch emotional geführte Diskussionen geben kann – natürlich in einem entsprechenden Rahmen. Das Vorsitz führende Präsidiumsmitglied und der Nationalrat als Ganzes haben hier wohl eine Gratwanderung zu beschreiten: zwischen dem lebhaften Parlament auf der einen Seite und dem Abgleiten in Unsachlichkeit auf der anderen Seite.
Hohes Haus! Wir müssen uns bewusst sein, dass durch die Internet- und TV-Übertragungen unser Parlament noch viel öffentlicher geworden ist, als es das in der Vergangenheit war. Das ist erfreulich, stellt uns aber auch vor besondere Herausforderungen. Die Menschen unseres Landes bewerten unsere Arbeit nicht nur nach den Ergebnissen, die in Gesetzesform vorliegen, also sozusagen nicht nur nach dem gesetzlichen, dem legistischen Output – so wichtig dieser auch ist –, sondern verstärkt auch nach dem öffentlichen Auftreten, das alle mitverfolgen können, was viele auch tun.
Wir kennen das Schlagwort von „Politikverdrossenheit“ und wissen auch, dass dieses nicht nur ein Schlagwort ist. Diese bei manchen Menschen in unserem Land vorhandene Politikverdrossenheit in Politikinteresse umzuwandeln ist Aufgabe von uns allen, von jedem und jeder Einzelnen von uns.
Hohes Haus! Ich habe gesagt, dass ich es für erfreulich erachte, dass unser Nationalrat in höherem Maße öffentlich ist als früher. Genauso erfreulich finde ich es, dass der Nationalrat auch in höherem Maße weiblich ist, weiblicher, als er vor Jahren oder vielleicht sogar Jahrzehnten noch war. Wir sind aber – da werden Sie mir, denke ich, zustimmen – wohl auch in diesem Bereich noch lange nicht am Optimum angelangt. Sollte ich von Ihnen gewählt werden, würde ich als einzige Frau im Präsidium des Nationalrates sehr darauf achten und auch darauf hinweisen, dass Frauenanliegen entsprechende Berücksichtigung in diesem Hause finden. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.)
Sehr geehrte Damen und Herren! So weit einige grundsätzliche Überlegungen zu meinem Amtsverständnis für ein Präsidiumsmitglied des Nationalrates. Sollte ich gewählt werden, darf ich Ihnen versichern, dass ich mein Bestes geben werde, um