Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 66. Sitzung / Seite 64

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Der Punkt ist nämlich folgender: Es muss Ihnen schon klar sein, dass das Best-Clinical-Practice-Modell – wie verschreibe ich am besten sachgerecht und nach internationalen Kriterien? – immer bedeutet, dass 80 Prozent dieser Empfehlungen auf einen Patienten zutreffen können, aber 10, 20 Prozent nicht. Das heißt, sozusagen „Best Human Practice“ gibt es dann nicht mehr. Jeder Arzt, jede Ärztin wird aber sagen können: In diesem Fall, aus diesem Grund musste ich so oder so handeln!, und das wird nicht immer falsch sein. Und wir können nicht bei jeder Verschreibung ein Gerichtsverfahren einleiten und eine Wissenschaftskommission einberufen. Vor allem bei Nebenwirkungen werden Sie sehen, dass Patienten unterschiedlich reagieren.

Dass die Sorgen des Hauptverbandes und seine Kritik an Ihrer Lösung verständlich sind, ergibt sich allein daraus, dass der Hauptverband mit dem Rücken zur Wand steht und es sich nicht leisten kann, die Kostenentwicklung im Medikamentensektor allzu großzügig zu betrachten, und die Verwaltungsexplosion – das ist vielleicht ein grober Ausdruck, aber: die Strapazierung von Mehrverwaltung – wird ihm auch wieder auf den Kopf fallen, weil Sie ja sagen, hier müsse eingespart werden.

Im Übrigen ist das Wort „ChefärztIn“ schon ein irreführender Begriff, denn von Chefin und Chef ist da relativ wenig die Rede. Das sind einfach AkademikerInnen, die nach Vorgaben der Kassen ja oder nein sagen – wenn Kontingente erfüllt sind, wenn etwas überschritten wird. Das hat mit Medizin relativ spärlich zu tun, und ich würde Ihnen beziehungsweise dem Hauptverband raten, dass man mit Ressourcen von Akade­mikerInnen im Hauptverband, aber auch in Ihrem Ressort sorgsamer und rationaler umgeht und diese vielleicht das erarbeiten lässt, was vernünftige Behandlungs­richt­linien und vernünftige Empfehlungen von Medikamenten bei bestimmten Indikationen betrifft. Hier könnten Sie wahrscheinlich auch gute Leute brauchen.

Was mich immer wundert und was ich auch schlecht finde, ist, dass in dieser Debatte vorwiegend das Denken in Feindbildern sachorientierte Lösungen erschwert: Feindbild Hauptverband – immer die Bösen, Betonierer et cetera –, Feindbild Ärztekammer, Feindbild Pharmaindustrie und die Kassen im Allgemeinen.

Gerade was die Pharmaindustrie betrifft – ich bin ja nicht ihr Pressesprecher –, würde ich hier schon einmal wagen zu erwähnen, dass Preise der Medikamente in Österreich diskret unter dem EU-Schnitt liegen. Und wenn Sie meinen, dass sozusagen die ÖVP Planwirtschaft auf diesem Sektor durch Preisgestaltungen betreiben soll, wird das, glaube ich, nicht ganz so einfach sein, weil gewisse Anreize, neue, innovative Medi­kamente zu entwickeln, bestehen bleiben sollten.

Was beeinflusst aber die Verschreibepraxis? – Sie sollten sich hier darum kümmern, zu Lösungen durch bessere Ausbildung zu finden, Medizinökonomie auch in der Pharmakologie im Studium von Medizinerinnen und Medizinern stärker einzubinden, und vielleicht auch dafür sorgen, dass endlich datengestützte Banken, EDV-gestützte Arztpraxen etwas, was ich als sachorientierte und diagnosebezogene Möglichkeiten bezeichnen würde, erleichtern.

Und ganz zum Schluss: Freiwilligkeit mit gewissen sachten Anreizsystemen oder auch mit Druck verbunden, das ist nicht schlecht. 30 Prozent aller Medikamentenkosten entstehen nur durch vier Medikamentengruppen: solche gegen Bluthochdruck, Säure­hemmer Magen, Antidepressiva und Lipidsenker. Wenn Sie es schaffen, bei diesen vier Gruppen die Kosten um nur 20 Prozent durch Generika zu reduzieren, haben Sie 6 Prozent der Gesamtarzneimittelkosten eingespart – etwas, was bis jetzt noch nie erreicht wurde. Und ich glaube, wenn Sie diese Indikationsgruppe von 4 Medi­kamen­tengruppen auf 15 Gruppen erweitern, hätten Sie 50 Prozent aller Medika­menten­kosten, die Sie durch Verhaltensmaßregeln, Empfehlungen, wissenschaftliche Stu-


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