Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 69. Sitzung / Seite 40

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ich sage Ihnen eines: Wenn Sie so fortsetzen, dass diese Kombinationen in der De­batte die Regel sein werden, dann wird der europäische Geist noch sehr, sehr lange auf sich warten lassen! (Beifall bei den Grünen sowie des Abg. Dr. Jarolim.)

Das ist eben nicht nur im Parlament der Fall, sondern das ist ganz eklatant offensicht­lich auch in der Regierung der Fall. Herr Böhmdorfer hat gestern in aller Breite geschil­dert, welchen Stellenwert europäische Politik in dieser Regierung hat, nämlich wenn man eine 100-Seiten-Vorlage zehn Minuten vor der Abstimmung in die Hand gedrückt bekommt und wenn man dann eben irgendwie dafür entscheidet, ohne die Details wirk­lich zu kennen. Meine Damen und Herren, das ist nicht europäische Politik, das ist ein dramatischer Boxenstopp im Nirwana! Wirklich! (Beifall bei den Grünen.)

Bei der Bewertung der Regierungskonferenz durch den Herrn Bundeskanzler bleiben einige interessante Fragen offen. So ist zum Beispiel die Frage völlig offen geblieben, wie sich der Herr Bundeskanzler jetzt zu den Versprechen der Frau Außenministerin stellen wird, dass Österreich sofort und ohne Rücksicht auf seine Neutralität an der strukturierten Zusammenarbeit teilnehmen wird. Bei der Lektüre des Verfassungsver­trages, so wie ihn die Regierungskonferenz jetzt verstümmelt hat, ist ja im Bereich des militärischen Sektors die NATO-Bindung noch einmal verstärkt worden und sind die Entscheidungsmechanismen noch einmal stärker in Richtung Militarisierung gedrängt worden.

Herr Bundeskanzler! Wie können Sie das vereinbaren mit einer Friedenspolitik, die in Österreich einmal Tradition hatte und zu der ein ganz großer Teil der Bevölkerung in Österreich steht? (Abg. Mag. Molterer: Auch die Bundesregierung!) Herr Bundeskanz­ler, diese Frage müssen Sie dem Nationalrat, müssen Sie der österreichischen Bevöl­kerung beantworten, denn das ist eine jener Fragen, die die Menschen interessiert. Nicht die Zahl der Kommissare, nicht die äußerst komplexen Bestellungsmodalitäten für die Kommissare, sondern die Frage der Friedenspolitik tangiert die Lebensinteres­sen der Bevölkerung ganz besonders. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Herr Bundeskanzler, Sie haben geschildert, welch großartige Rolle die Regierungskon­ferenz in Sachen Verfassungsvertrag gespielt hat. Ich kann Ihnen nur eines sagen – hier zitiere ich ausnahmsweise einmal aus „Die Presse“ mit ihrer heutigen Glosse –:

„Wochenlang, wenn nicht monatelang, haben sie in Hinterzimmern gemauschelt, Ab­sprachen getroffen, sich gegenseitig blockiert und in die Irre geführt: Die Wahl des EU-Kommissionspräsidenten wirft ein dubioses Licht auf die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union und auf die Institutionen, die sie vertreten.“

Meine Damen und Herren! Das ist eine dramatische Analyse, und der Herr Bundes­kanzler hat sie ja selbst unterstützt. Er hat nämlich Renner mit dessen Aussage zitiert: Die Nationen werden immer streiten. – Sie, Herr Bundeskanzler, waren derjenige, der das Vorrecht der Regierungen gegenüber der Kommission, gegenüber dem Parlament, gegenüber den europäischen Instituten immer vehement verteidigt hat. Sie, Herr Bun­deskanzler, sind hier Täter – und nicht Kommentator einer historischen Entwicklung. (Beifall bei den Grünen.)

Ein letztes Wort noch zu dem Leistungsbericht, den Sie auch abgeliefert haben. Sie waren stolz darauf, die Preisstabilität in die Zielsetzungen der Verfassung hineinbe­kommen zu haben. Und Sie waren genauso zufrieden damit, dass die Frage des Ar­beitsmarktes in der Regierungskonferenz heruntergeholt worden ist auf ein so genann­tes hohes Beschäftigungsniveau. Meine Damen und Herren! Das ist genau das, was zur Praxis dieser Regierung passt: Arbeitskräfte sind Manövriermasse, und Massen­wohlstand gehört der Vergangenheit an. – Das, meine Damen und Herren von der


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