Nationalrat, XXII.GPStenographisches Protokoll76. Sitzung / Seite 198

HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite

5. Punkt

Erste Lesung: Antrag der Abgeordneten Mag. Terezija Stoisits, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug im Strafgesetzbuch ausgeweitet wird (435/A)

 


Präsident Dr. Andreas Khol: Wir gelangen nun zum 5. Punkt der Tagesordnung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Die Antragstellerin kommt als Erste zu Wort. 5 Minuten Wunschredezeit. – Bitte.

 


21.16

Abgeordnete Mag. Terezija Stoisits (Grüne): Dobar vecer, gospod president! Dobar vecer, poštovane dame i gospodo! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erste Le­sungen haben den Zweck, dass die Fraktionen das Terrain abstecken, wie weit legis­tische Maßnahmen notwendig sind, wenn es den sprichwörtlichen politischen Hand­lungsbedarf gibt. Kaum eine Materie, mit der sich die Politik in Justizangelegenheiten in den letzten Monaten beschäftigt hat, ist brisanter als der österreichische Strafvollzug, denn kaum etwas in der österreichischen Justiz, Justizpolitik, Justizverwaltung befindet sich in einer so großen Krise wie der österreichische Strafvollzug, denn – und ich will Sie nicht mit zu vielen Fakten belästigen, sage das aber nur zur Verdeutlichung – in Österreich sitzen zurzeit rund 8 500 Menschen im Gefängnis. Jetzt sagt diese absolute Zahl von 8 500 Häftlingen noch gar nichts, wenn man die Relationen nicht kennt.

Den historischen Tiefstand an Häftlingszahlen in Österreich hat es Ende der achtziger Jahre gegeben, als 5 900 Menschen in Österreichs Gefängnissen saßen. Das war die Auswirkung beziehungsweise das Resultat einer gezielten Strafrechtsreformpolitik. Eine Strafrechtsreformpolitik in dem Sinne, wie sie damals, in den achtziger Jahren, betrieben wurde, ist seit einigen Jahren, vor allem seit dem Jahr 2000, der österreichi­schen Politik mehr als fremd geworden. Ich bringe wieder die Zahl, damit Sie sich das vorstellen können: Ein Plus beziehungsweise ein Anstieg der Häftlingszahlen um 22,5 Prozent innerhalb von zwei Jahren zeigt das ganz deutlich.

Jetzt wäre ein großes Bündel von Maßnahmen notwendig, um dem Strafvollzug sozu­sagen einen Reformschub zu verpassen. Eine Möglichkeit wird in dem Entschließungs­antrag der Grünen angesprochen, nämlich jene, die bedingte Entlassung auszuweiten.

Weshalb soll man die bedingte Entlassung ausweiten? – Nur 20 Prozent der Straf­gefangenen in Österreich werden bedingt entlassen. Das sagt auch noch nichts, diese 20 Prozent, wenn man nicht die Vergleichszahlen kennt. In der Bundesrepublik Deutschland werden 50 Prozent der Strafhäftlinge bedingt aus der Strafhaft entlassen, und in der Schweiz werden 92 Prozent der Strafhäftlinge bedingt aus der Strafhaft entlassen. Diese zwei Vergleichszahlen sind deshalb von Relevanz, weil durchaus Rechtssystem, Strafvollzug, Kriminalitätsrate und -entwicklung und auch, wenn Sie so wollen, der kulturelle Zusammenhang in diesen beiden Ländern mit Österreich durch­aus vergleichbar sind. Ich würde auch sagen, dass Österreich sicher kein weniger sicheres oder ein unsichereres Land als die Schweiz oder als Deutschland wären. In sehr vielen Bereichen ist Österreich ein viel sichereres Land als diese beiden Länder. Auch bei den Kriminalitätsraten sind in Österreich niedrigere Werte zu verzeichnen als in der Schweiz. Trotzdem liegt die Zahl der bedingten Entlassungen bei uns bei 20 Pro­zent, in Deutschland bei 50 Prozent und – ich wiederhole es – in der Schweiz bei 92 Prozent.

In der Regel wird als wichtigstes Argument, warum es keine bedingte Entlassung gibt, das der Generalprävention ins Treffen geführt. Diese Begründung wird immer wieder strapaziert: Eine vorzeitige Entlassung ist wegen der Generalprävention nicht möglich.


HomeSeite 1Vorherige SeiteNächste Seite