Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 83. Sitzung / Seite 153

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Ihnen die Entscheidungen zupass sind? (Abg. Dr. Glawischnig: Sie haben es nicht verstanden!)

Ist das wirklich ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit, auch von Demo­kratie­bewusst­sein, dass immer das in Ordnung ist, was man selbst möchte, und das nicht in Ordnung ist, was vielleicht die anderen möchten? Das ist sicherlich nicht der gleiche Maßstab, den man in einer Demokratie und in einem Rechtsstaat anzulegen hat.

Meine Damen und Herren von den Grünen und auch von der SPÖ, Sie können den Innenminister für seine politischen Maßnahmen kritisieren, keine Frage, aber der Misstrauensantrag wird ja unter anderem dadurch begründet, dass der Herr Bundes­minister oberstgerichtliche Entscheidungen kritisiert hat. Er hat ja nicht gesagt, er wird sie nicht einhalten, das kann er ja gar nicht – außerdem: einhalten müssen ja wir sie, denn wir müssen das Gesetz hier reparieren –, sondern er hat sie kritisiert.

Meine Damen und Herren! Wenn Sie sagen – und das muss für alle gelten –, man darf Verfassungsgerichtshoferkenntnisse nicht kritisieren, was sagen Sie dann zu Ihrem Abgeordneten Kräuter, meine Damen und Herren? Ich weiß schon, es war eine andere Zeit, da waren Sie noch in der Regierung. Sie haben eine Zweidrittelmehrheit, die Verfassungsmehrheit gehabt. Damals ist es darum gegangen, einen Entscheid des Höchstgerichts zur Kompetenzsituation beim Semmering-Basistunnel abzuwarten. Die Entscheidung war noch gar nicht da, und der Herr Kräuter hat bereits gesagt: Es ist völlig egal, wie das Höchstgericht entscheidet, denn wir bereiten schon ein Verfas­sungsgesetz vor, das diese Frage endgültig entscheidet! Wenn der Verfassungs­gerichtshof für uns entscheidet, dann ist es gut, und wenn nicht, dann ist es ein Argument mehr, ein Verfassungsgesetz zu verabschieden! – Da war es Ihnen völlig egal, wie entschieden wird, Herr Parnigoni.

Das ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit: nicht nur, dass Sie ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes kritisieren, sondern dass es Ihnen egal ist, wie dieser entscheidet, dass Sie sagen: Wenn er nicht so entscheidet, wie wir das wollen, dann fahren wir drüber mit unserer Zweidrittelmehrheit und schalten die Verfassungs­kon­trolle aus!

Oder, meine Damen und Herren von den Grünen, Frau Kollegin Glawischnig: Was ist denn mit der Kritik von Ihrer Abgeordneten Lunacek an einem Verfassungs­gerichts­hoferkenntnis in der Homosexuellenfrage, das Ihrer Auffassung nicht entsprochen hat? Oder: Es hat Frau Kollegin Haidlmayr, die ein Verfassungsgerichtshoferkenntnis in der Zivildienstfrage, das nicht so gewesen ist, wie sie es wollte, scharf kritisiert. Oder: Von Seiten der Frau Kollegin Vassilakou in Wien, die das Ausländerwahlrecht ganz gerne gehabt hätte, was aber der Verfassungsgerichtshof anders gesehen hat, hat es geheißen: eine Niederlage für ein weltoffenes und modernes Wien! Erkenntnisse und Gerichtsverfahren tragen die Handschrift eines Ministers, haben Sie behauptet. Also der Vorwurf der Beeinflussbarkeit der Justiz wurde hier erhoben.

Das, meine Damen und Herren, ist alles zulässig für Abgeordnete in diesem Hohen Haus, die dasselbe Gelöbnis auf die österreichische Verfassung gesprochen haben wie dieser Minister. (Abg. Mag. Wurm: Sie sind aber nicht Teil der Verwaltung, son­dern die Abgeordneten sind Teil der Legislative! Das ist der Unterschied!)

Aber so leicht kann man es sich nicht machen, meine Damen und Herren! Der Grad der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit misst sich danach, wie man mit der Meinung der anderen umgeht und nicht mit der eigenen Meinung. Das lassen Sie sich einmal ins Stammbuch schreiben! (Beifall bei den Freiheitlichen und der ÖVP.)

 


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