Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 92. Sitzung / Seite 18

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tation der Berichte im Europäischen Parlament zu Wort gemeldet hat, hat er gesagt – ich zitiere –:

Der Rechtsrahmen in der Türkei entspricht den Anforderungen an einen demo­kra­ti­schen Rechtsstaat, die Praxis in der Türkei entspricht dem natürlich nicht. – Zitatende.

Super: Also „entspricht nicht“ sagt sogar der Erweiterungskommissar, aber man beginnt hier, die Kriterien für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aufzuweichen.

Wissen Sie, was mich stört? Ich sage Ihnen das heute, und wir sollten darüber eine Diskussion führen. Welches Modell der Europäischen Union streben wir eigentlich an? Wir haben damals, 1994, die österreichische Bevölkerung dafür gewonnen, indem wir gesagt haben, es soll ein demokratisches Modell sein, es soll ein politisches sein, aber es soll vor allem eine Sozialunion sein. Wir sind nicht zur Europäischen Union gegan­gen, damit Österreich Gefahr läuft, dass der Level des Wohlfahrtsstaates gefährdet ist. (Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Rufen Sie einmal den Vranitzky an und fragen Sie ihn, was er verhandelt hat!) Das war eine ganz wichtige Voraussetzung damals.

Daher ist natürlich jeder Erweiterungsprozess auch danach zu bemessen. Die Frage ist nicht nur: Was kostet es – Österreich ist Nettozahler –, wird das jetzt mehr oder weniger sein? Ist die EU reformfähig? Stichwort: Bereich Agrarförderungen. Wird es hier Veränderungen und Verbesserungen geben? Denn die Hälfte des Budgets rinnt in den Agrarbereich hinein, Herr Landwirtschaftsminister, das werden Sie wissen. Darum hat auch der Agrarkommissar Fischler vor unüberlegten Schritten gewarnt. (Zwischen­bemerkung von Bundesminister Dipl.-Ing. Pröll.) Mit Bilanzschmähs ist es ein bisschen weniger, wenn man es aber zusammenaddiert, kommt doch wieder die Hälfte heraus. – Also das sollte man in diesem Zusammenhang berücksichtigen.

Die Frage ist: Welche Europäische Union wollen wir? Wollen wir eine Europäische Union, wo so schnell wie möglich erweitert wird? Ich finde es sowieso ungerecht, dass immer nur über die Türkei diskutiert wird. Es stehen auch Rumänien, Bulgarien, Kroatien, mehrere Länder zur Disposition. Solana spricht schon von der Ukraine.

Ich frage mich: Kann die EU dieses Tempo verkraften? Welche EU wird am Ende des Tages vorhanden sein? Ist das auch eine Sozialunion? Ist das eine vertiefte Union, die wirklich global und weltweit die negativen Auswirkungen der Globalisierung bremsen, mildern, ja vielleicht sogar verhindern kann? Ist es eine Europäische Union, die gegen­über den Vereinigten Staaten selbständig agiert, oder ist es so, dass sich Washington, London, Warschau, Ankara dann koordinieren und eine starke Gruppe in der Euro­päischen Union bilden? Was ist es dann?

Es sind so viele andere Fragen, die damit verbunden sind, auch sicherheitspolitischer Natur. Denn wenn die Türkei zum Beispiel beitritt, dann grenzt die Europäische Union an die Krisenzonen des Kaukasus, an den Nordirak, an Syrien. Das sind lauter Dinge, die auch überlegt werden müssen.

Ich sage das nur in dem Zusammenhang: Es wird mir zu wenig diskutiert und überlegt, was es im Endeffekt für die Europäische Union bedeutet und ob sich das auch noch mit den Versprechungen verträgt, die wir damals, 1994, den Österreicherinnen und Österreichern gegeben haben. Erinnern Sie sich! Natürlich gibt es viele aus den wirt­schaftlichen Bereichen, die sagen: Uns ist am liebsten, so schnell wie möglich erwei­tern, egal, wer auch immer dazukommt. Wir wollen so wenig Regeln wie möglich ha­ben. Wir wollen keine soziale Marktwirtschaft, sondern wir wollen Lohndumping haben, wir wollen Standortkonkurrenz haben, wir wollen Steuerwettbewerb haben. Das wollen wir haben – einen losen Zollverein, dann noch die Eurozone, und ansonsten soll jeder seinen Weg gehen, zu dem er gerade Lust hat.

 


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