Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 92. Sitzung / Seite 28

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dagegen habe ich nichts zu sagen. Ich bewerte die Argumente unter dem Strich einfach anders.

Aber: Hinter welchem Volk will sich die SPÖ verstecken? – Die SPÖ stellt derzeit mehr als ein Drittel der Mandatare im Nationalrat. Die SPÖ wird es jederzeit in der Hand haben, wenn es denn eines Tages so weit kommt, mit ihrem Drittel einen Zweidrittel-Beschluss im Nationalrat, der für eine Ratifizierung des Beitrittsvertrages erforderlich sein wird, zu verhindern. Die SPÖ hat diesbezüglich ein Vetorecht. Wenn ihr zum Zeitpunkt x der Meinung seid, der Beitritt ist falsch, dann müsst ihr im Parlament dagegen stimmen. (Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Dann haben sie die Mehrheit nicht mehr! In zehn Jahren ...!)

Was Kollege Cap in Wirklichkeit will – und das ist im heutigen „Standard“ und in der „Presse“ nachzulesen –, ist: Er will vor der Abstimmung oder sogar vor der Unter­zeichnung der Staatschefs eines allfälligen Beitrittsvertrages eine Volksabstimmung haben.

Lieber Kollege Cap, eine derartige Vorgangsweise hätte derart weit reichende Folgen, dass ich sage, diese Verfassungsreform, die dir da vorschwebt (Abg. Dipl.-Ing. Scheuch: Der Cap ist schwer beweglich!), hätte tatsächlich eine Volksabstimmung in Österreich zur Voraussetzung, denn das wäre in der Tat eine Gesamtänderung der österreichischen Bundesverfassung. (Beifall bei den Grünen.)

Das ist Feigheit vor dem Volk! (Demonstrativer Beifall bei der ÖVP.) Wir sind dafür gewählt, Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und diese Ent­scheidungen, wenn es der Rechtslage entspricht oder wenn es als eine politische Notwendigkeit erscheint, dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Wenn das Volk dann nein sagt, so haben die entsprechenden Politiker, die das vorher befürwortet haben, eben zurückzutreten und die Konsequenzen zu ziehen. Das ist – unter Anführungs­zeichen – „normale“ demokratische Politik, aber nicht, sich hinter einem allfälligen angeblichen Volkswillen zu verstecken. Das finde ich nicht in Ordnung, das, finde ich, ist der Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.38

 


Präsident Dr. Andreas Khol: Der von Herrn Abgeordnetem Dr. Van der Bellen einge­brachte Entschließungsantrag der Abgeordneten Van der Bellen, Lunacek, Kolleginnen und Kollegen betreffend eine österreichische Initiative für die Einführung einer europa­weiten Volksabstimmung über europäische Fragen ist hinreichend unterstützt und steht mit in Verhandlung.

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Van der Bellen, Lunacek, Freundinnen und Freunde betreffend eine österreichische Initiative für die Einführung einer europaweiten Volksabstimmung über europäische Fragen, eingebracht im Zuge der Debatte über die Erklärung gemäß § 19 Abs. 2 GOG, Ergebnisse des EU-Gipfels in Brüssel am 16./17. Dezember 2005

Am Ende des letzten EU-Gipfels in Brüssel hat Bundeskanzler Schüssel überraschend eine österreichische Volksabstimmung über den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union vorgeschlagen – durchzuführen am Ende des Verhandlungsprozesses, nach­dem der Ministerrat zugestimmt und das Parlament ratifiziert haben werden.

Ein jetziger Volksabstimmungsbeschluss in Österreich, der erst in 10 oder 20 Jahren unter einer späteren Regierungsmehrheit vollzogen werden müsste, ist aus verfas-


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