Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 92. Sitzung / Seite 37

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spätestens seit dem Rücktritt von Ernst Strasser nicht mehr. Dieser Rücktritt Strassers steht für ein sich beschleunigendes Phänomen des Erosionsprozesses dieser Regie­rung. Er ist Symbol für den Zustand der ÖVP, die offensichtlich mit erheblichen Verschleißerscheinungen zu kämpfen hatte. (Beifall bei der SPÖ.)

Dieses doppelte Spiel, das ich angesprochen habe, lässt sich wohl am besten am Strasser-Rücktritt aufhängen. Wenn Ernst Strasser – nachdem er gesagt hat, er gehe in die Privatwirtschaft – in Richtung Bundeskanzler Schüssel dann selbst sagt: „Es hat mit Schüssel mehrere Gespräche gegeben, bei denen ich gesagt habe, dass ich aufhöre, aber er hat nicht geglaubt, dass ich Ernst mache. Er glaubt immer, dass es nach seinem Schädel gehen muss.“ – So schaut der reibungslose, harmonische Über­gang im Ministerium Marke Schüssel/Strasser aus.

Die Ankündigungen von Strasser sind ja Ankündigungen geblieben. Strasser hat zu Beginn seiner Tätigkeit, wo er sich ein liberales Mäntelchen umgehängt hat, behauptet, er möchte das Innenministerium als „rot-weiß-rotes Ministerium“ führen – auch das vom Bundeskanzler soeben wiederholt.

Rot-Weiß-Rot heißt offensichtlich Einfärbung in Richtung Schwarz, drüberfahren. (Abg. Großruck: Hat Ihnen diese Rede die Frau Bures geschrieben?) Und man sollte nicht verhehlen und man sollte sich die Tatsachen genauer anschauen, Herr Kollege (Abg. Großruck: Hat Ihnen diese Rede die Frau Bures aufgesetzt?), Ernst Strasser ist an seiner eigentlichen Verantwortung im Sicherheitsbereich gescheitert. Die Kriminalität ist von unter 500 000 kriminellen Handlungen im Jahr 1999, also unter sozialdemo­kratischen Innenministern, auf über 700 000 Fälle in die Höhe geschnellt, und die Auf­klärungsrate betrug unter sozialdemokratischen Ministern weit über 50 Prozent, unter Strasser nur noch 37 Prozent. – Strasser hinterlässt also einen Scherbenhaufen, den jetzt seine Nachfolgerin aufräumen darf.

Im Innenressort – das wurde angesprochen – gibt es mehrere offene Baustellen. Das Asylgesetz wurde, wie so viele andere Strasser-Vorlagen auch, vom Verfassungs­gerichtshof gekippt. Statt Lösungen bietet die ÖVP derzeit zumindest nur dumpfen Populismus an. Die Zivildienstreform ist nicht über die Ziellinie gegangen. Deswegen ist auch die Erklärung von Strasser, er hätte alles erledigt, sozusagen Schimäre. Schüssel war gefordert, im Galopp die Pferde zu wechseln, wichtige Dinge sind im Argen und sind noch offen. Niemand kann die neue Innenministerin um diese Aus­gangslage beneiden. (Zwischenruf des Abg. Großruck.)

Niemand kann Ihnen, Herr Bundeskanzler Schüssel, aber die Verantwortung dafür abnehmen, dass eine sicherheitspolitisch – und da werden Sie mir doch hoffentlich zustimmen, zumindest in diesem Punkt – bisher völlig unerfahrene Politikerin in ein derartiges Minenfeld geschickt wird. (Abg. Dr. Fekter: Nein, die ist nicht völlig uner­fahren!)

Aus meiner Sicht kann ich Folgendes anbieten: Wenn Sie, Frau Minister, bereit sind, die Opposition in die Verhandlungen über ein besseres Asylgesetz einzubeziehen, einen Kurswechsel in der Sicherheitspolitik vorzunehmen, der zu einer Aufstockung des Personals und zu einer Stärkung dezentraler Sicherheitsstrukturen führt, wenn Sie, Frau Minister, sicherstellen, dass als Hauptkriterium für die Besetzungen im Sicher­heitsbereich nicht das ÖVP-Buch gilt, wenn Sie sicherstellen, dass die Ergebnisse der Zivildienst-Reformkommission auch demokratisch geprüft und umgesetzt werden, dann können Sie mit der Zusammenarbeit und Unterstützung der SPÖ rechnen. (Beifall bei der SPÖ.)

Die Chance für einen Neubeginn hat Bundeskanzler Schüssel allerdings verpasst. Und seien wir ehrlich: Es gibt kaum einen politischen Kommentator – deswegen auch die


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