Nationalrat, XXII.GP Stenographisches Protokoll 95. Sitzung / Seite 38

Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite

15.17.12

Abgeordneter Dr. Alexander Van der Bellen (Grüne): Herr Präsident! Bei diesen Diskussionen ist eines auffällig – das sage ich jetzt einerseits selbstkritisch, aber auch kritisch gegenüber den Regierungsparteien: Natürlich neigen Oppositionsparteien dazu, die Regierungsfraktionen für alles, was irgendwie negativ passiert, verantwortlich zu machen, aber umgekehrt, Herr Kollege Molterer, scheint mir das Bedürfnis der Regierungsparteien, sich selbst dafür verantwortlich zu machen, was alles in diesem Land positiv läuft, noch viel ausgeprägter zu sein. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der SPÖ.)

Herr Kollege Molterer, was Sie alles aufgezählt haben: Wir haben uns verbessert – sowieso! Ich bin der Letzte, der bestreitet, dass sich in diesem Land in den letzten Jahren, Gott sei Dank, doch auch einiges verbessert hat, die Frage ist nur: Verbessert sich etwas trotz einer Regierung – irgendeiner Regierung, da meine ich jetzt gar nicht Sie persönlich – oder wegen einer Regierung? Ist das irgendwie so indifferent da­zwischen?

Wir alle machen uns doch keine Illusionen darüber, wie viel Politik wirklich bewegen kann – alles doch sicher nicht! Wenn mir das Wetter nicht passt, greife ich nicht zum Telefonhörer, rufe die APA an und sage: Unerhört! Die Bundesregierung hat versagt. (Abg. Dr. Stummvoll: Da schmunzelt er selbst!) – Nein, wirklich nicht! (Abg. Dr. Stummvoll: Cap schon!) Aber verschonen Sie uns doch damit, flächendeckend aufzuzählen, was in diesem Land, in Österreich, alles großartig, wunderbar und ein­malig ist! Da fallen mir auch genug Beispiele ein, völlig jenseits irgendeiner Bundes­regierung, auch der schwarz-blauen. (Beifall bei den Grünen.)

Das gilt auch für Herrn Bundeskanzler Schüssel. Es ist schön, wenn die „Neue Zürcher Zeitung“ am Samstag geschrieben hat: Dieses Land östlich der Schweiz, seine Bewoh­ner und Bewohnerinnen, die sind ordentlich gut drauf in verschiedener Beziehung. – Das freut mich auch. Wieso denn nicht? Es ist gut, wenn das in der „Neuen Zürcher Zeitung“ steht, und es wäre schön, wenn es auch einmal im „Spiegel“ stünde, der die öster­reichische Art des Understatements und die österreichische Art des Humors traditionell nie ganz verstanden hat.

Aber gibt es nicht in verschiedenen Bereichen eine Kluft zwischen dem, was über­wältigende Teile der Bevölkerung wollen, und dem, was die Bundesregierung macht? Eine Kluft oder, wie soll ich sagen, eine Divergenz zwischen dem, was sich in Öster­reich entwickelt – wirtschaftspolitisch, gesellschaftspolitisch entwickelt –, und dem, was die Bundesregierung dazu beiträgt oder auch nicht beiträgt? – Meine persönliche Theorie ist, wir haben in Österreich viel mehr mit Norditalien gemeinsam, als wir vielleicht wahrhaben wollen. Nämlich: Die Wirtschaft, die Betriebe, die Arbeitneh­merinnern und Arbeitnehmer, die Gewerkschaften machen schon ganz gut ihr Geschäft, man muss sie aber auch lassen. Die Politik ist nicht für alles verantwortlich, aber für einiges schon.

Ich gebe Ihnen zuerst ein kleines Beispiel, um zu einem vielleicht breiter inter­essieren­den überzugehen. Gestern Abend waren einige KollegInnen und ich in Oberwart, dort gibt es eine Ausstellung, es werden Theaterstücke aufgeführt. Warum? – Wir haben ja nicht nur 50 Jahre Staatsvertrag, wir haben nicht nur fünf Jahre Schwarz-Blau – das eine ist zu feiern, das andere weniger (Abg. Neudeck: Die Mehrheit feiert auch das!) –, wir haben auch einen Trauergedenktag im Jahre 2005, nämlich zehn Jahre Anschlag in Oberwart, als ein rechtsextremer Mörder eine Bombe gelegt hat, der vier Angehörige der in Oberwart ansässigen Roma zum Opfer gefallen sind.

Inzwischen kann man, so glaube ich, mit der gebotenen Vorsicht sagen: Dieser Mörder hat das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte: Die Verhältnisse haben sich


Home Seite 1 Vorherige Seite Nächste Seite