Nationalrat, XXII.GPStenographisches Protokoll101. Sitzung / Seite 101

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sein können, und auch Sie, Frau Bundesministerin, sind, wie wir wissen, mit diesem Ergebnis nicht zufrieden.

Wie sieht es aber mit der Chancengleichheit aus? – Gleiche Chancen, unabhängig von der sozialen oder der regionalen Herkunft oder unabhängig vom Geschlecht? Das österreichische Bildungssystem verstärkt wie kein anderes die Effekte der sozialen Herkunft, anstatt diese Effekte abzuschwächen.

Das ÖIBF, die Statistik Austria und das Österreichische Institut für Familienforschung, das der Kollegin Brinek gut bekannt sein muss, haben den Faktor Chancengleichheit anhand der aktuellen Volkszählungsdaten untersucht. Ich darf das an einem Beispiel konkretisieren.

Wenn der Vater Pflichtschulabschluss hat und die Familie auf dem Land wohnt, dann absolvieren 6 Prozent der Kinder aus solchen Familien eine AHS-Unterstufe. Hat der Vater Universitätsabschluss und wohnt die Familie in der Stadt, dann sind es nicht 6 Prozent, sondern 84 Prozent! (Abg. Mag. Wurm: Das ist ein Wahnsinn! Das ist Chancengleichheit im umgekehrten Sinn!)

Ähnlich ist es bei den Maturanten – weil Sie vielleicht sagen werden, da gibt es die Oberstufengymnasien –, und die Statistik Austria schreibt dazu wörtlich:

„Noch immer sind Kinder, deren Eltern den höheren Bildungsschichten angehören, in den höheren Schulen und unter den Studenten überrepräsentiert, führt der Bildungs­weg von 90 Prozent der Akademikerkinder zur Reifeprüfung, während sich etwa die Hälfte der Arbeiterkinder (und auch der Bauernkinder) in einer Lehrlingsausbildung befindet.“ – (Abg. Dr. Brinek: Was folgern wir daraus?)

Der Befund über die Chancengleichheit, die das österreichische Bildungssystem liefert, ist ebenso negativ wie der Befund über die Qualität. (Abg. Dr. Brinek: Was folgern wir daraus?)

Ein anderes Beispiel zur Chancengleichheit, Kollegin Brinek, und zwar dort, wo du zu Hause bist: Von den 1 600 ProfessorInnen an den österreichischen Universitäten sind nur 144 Frauen, das sind 9 Prozent. (Abg. Dr. Brinek: Immerhin!) Von den 33 600 Leh­rerInnen an den Volksschulen, wo die Lehrendenkarriere am unteren Ende ist, sind hingegen fast 30 000 Frauen, das sind 88 Prozent. Also auch der Befund über die Chancengleichheit, was das Geschlecht anlangt, ist negativ.

Und was „entlesen“ wir nun diesem Budgetvoranschlag 2006? – Was die Regierung zu tun gedenkt, um Qualität und Chancengleichheit des österreichischen Bildungssystems zu fördern.

Die APA hat sich heute dankenswerterweise noch einmal mit diesem Budget beschäf­tigt und festgestellt, dass der Anteil der Ausgaben für Bildung am Bruttoinlandsprodukt seit dem Jahr 2000 kontinuierlich sinkt, und zwar von 2,7 Prozent auf 2,3 Prozent – nicht mehr, sondern weniger ist es!

Zur Frühförderung nichts Konkretes, Frau Bundesministerin. Zur gerechteren Schule: Frau Kollegin Schiefermair, die sich jetzt so angeregt unterhält, hat gestern am Beispiel ihrer vier Kinder aufgezählt, wie positiv sie das gegliederte Schulsystem in Österreich sieht. Und sie hat für ihren jüngsten Sohn Lukas gemeint – ich zitiere –: „... er besucht noch die Volksschule –, und wir werden schauen, wie wir ihn fördern können.“

Das ist eine sicherlich sehr positive Elterneinstellung, aber Sie, Frau Kollegin, stehen so wie viele hier im Saal von ihrer eigenen Bildungslaufbahn und vom Beruf der Eltern her für eine Herkunftsfamilie, die von diesem Schulsystem profitiert, wie auch ich und meine Familie das tun. Gerecht aber ist ein Bildungssystem dann, wenn es keine Rolle mehr spielt, welche Eltern Kinder haben, ob sie etwas haben, wie viel sie haben,


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